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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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gestohlenen Feile, die an Ketten schabte. Er wußte seit Wochen, daß die Feilstellen sorgfältig mit Schmutz vor den toubobs verborgen wurden. Er sah die Gesichter derer vor sich, die das Rad des Kahns drehten und als einzige mit dem Leben davonkommen sollten.
    Während dieser langen Nacht wurden ungewohnte Geräusche vernehmbar. Das Geflüster verstummte, und Kunta lauschte angestrengt und kam zu dem Schluß, daß besonders starke Winde die großen weißen Tücher heftiger als sonst blähten. Bald war noch ein anderes Geräusch zu hören: so als ob Reiskörner aufs Deck fielen; nach einer Weile sagte sich Kunta, daß wahrscheinlich Regen niederprasselte. Gleich darauf machte er mit Bestimmtheit das Krachen und darauffolgende Rollen des Donners aus.
    Oben hörte man Laufen, und der Kahn begann zu schwanken und zu beben. Alle schrien vor Schmerz, wenn bei jedem Auf und Ab und Hin und Her die wunden, blutenden Stellen an Schultern, Ellenbogen und Hüften gegen das harte Holz gepreßt wurden. Der jähe Schmerz, der ihn von Kopf bis Fuß erfaßte, machte ihn halb ohnmächtig, und nur wie von weit her drang das Plätschern eindringenden Wassers an sein Ohr. Das allgemeine Gebrüll übertönte alles.
    Immer mehr Wasser strömte in den Laderaum, bis endlich etwas Schweres über die Planken geschleift wurde. Gleich darauf war der Sturzbach nur noch ein Rinnsal – doch schon begann Kunta zu schwitzen und rang nach Luft. Die toubobs hatten nicht nur das Wasser, sondern auch die Luftzufuhr abgeschnitten, und nun konnten weder Hitze noch Gestank entweichen. Es wurde unerträglich. Die Gefangenen keuchten und würgten, sie schrien und rasselten mit den Ketten in ihrer Angst. Kunta meinte, erst werde ihm die Nase, dann die Kehle, dann die Lunge mit heißer Baumwolle verstopft. Er rang nach Luft, weil er schreien wollte. Bei all dem wilden Lärm von Kettenklirren und erstickten Schreien merkte er nicht einmal, daß seine Blase und sein Darm sich entleerten.
    Wie mit Hämmern schlugen die Wogen gegen die Außenwand des großen Kahns, und die Planken hinter den Köpfen der Männer ächzten hörbar. Das Wehgeschrei der Gefangenen im dunklen Laderaum schwoll an, wenn der Kahn mit dem Bug ins Wasser tauchte. Es schien, als wolle er sich nie wieder aufrichten. Regen prasselte auf das Deck wie Hagel. Allmählich legte sich das Geschrei in dem pechschwarzen Verlies, denn immer mehr Gefangene wurden ohnmächtig.
    Als Kunta zu sich kam, lag er an Deck und wunderte sich, noch am Leben zu sein. Schwankende Lichter machten ihn zunächst glauben, er sei noch unten. Doch dann tat er einen tiefen Atemzug und merkte, es war frische Luft. Er lag auf dem Rücken und litt so entsetzliche Schmerzen, daß er selbst vor den toubobs nicht aufhören konnte zu schreien. Hoch oben, geisterhaft im Mondlicht, klammerten sie sich an die Querbalken der langen dicken Pfosten. Offenbar versuchten sie, die großen weißen Tücher zu entrollen. Dann hörte er heftiges Poltern und sah weitere toubobs durch die geöffnete Luke stolpern, schwankend unter der Last nackter, angeketteter Schwarzer, die sie aus dem Laderaum holten und neben Kunta und andere bereits dort liegende Gestalten auf die Planken fallen ließen.
    Kuntas Kettengenosse zitterte heftig, er würgte und stöhnte abwechselnd. Kunta mußte ebenfalls erbrechen. Zu seiner Freude konnte er beobachten, daß der Weißhaarige und sein Gehilfe ihre weißen Untergebenen unentwegt verfluchten, weil die auf dem Erbrochenen ausrutschten, wenn sie die leblos scheinenden Körper herbeischleppten.
    Der große Kahn schaukelte immer noch heftig; Gischt fegte ab und zu über das Deck. Der Weißhaarige hielt sich nur mit Mühe auf den Beinen. Gefolgt von einem toubob mit Laterne, ging er hierhin und dorthin. Er hob die Köpfe der kraftlosen nackten Männer, ließ ihnen ins Gesicht leuchten, sah sie prüfend an und legte manchmal den Finger auf ein Handgelenk. Gelegentlich fluchte er grimmig und bellte einen Befehl; dann warf der andere toubob einen toten Gefangenen ins Meer.
    Diese Männer waren also unten gestorben. War es möglich, daß Allah, von dem es doch hieß, er sei überall zur gleichen Zeit, hier an diesem Ort weilte? Doch schon solch eine Frage stellte den Fragenden mit den Heiden auf eine Stufe, die da ringsumher zitterten und stöhnten. Kunta sprach ein stummes Gebet für die Seelen derer, die ins Meer geworfen worden waren und sich schon zu ihren Vorvätern versammelt hatten. Er beneidete sie.

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