Wut
akzeptierte Solanka ihre Bedingungen und gewöhnte sich allmählich daran, die Müdigkeit zu bekämpfen, die ihn nach dem Liebesakt normalerweise überfiel. Er sagte sich, so sei es auch für ihn wohl besser. Schließlich war er auf einmal ein überaus beschäftigter Mann.
Er lernte sie jeden Tag besser kennen, erforschte sie, als sei sie eine neue Stadt, in der er eine Wohnung gemietet hatte, die er eines Tages zu kaufen hoffte. Mit dieser Vorstellung war sie allerdings nicht so ganz einverstanden. Genau wie er war sie von Stimmungen abhängig, und er wurde ihr persönlicher Meteorologe, der ihr Wetter voraussagte, der die Dauer ihrer inneren Stürme und ihrer Nebenwirkungen in Form von tosenden Ungewittern an den goldenen Stränden ihrer Liebe studierte. Manchmal gefiel es ihr, in so mikroskopischen Details beobachtet zu werden, liebte sie es, ohne Worte verstanden zu werden, ihre Bedürfnisse erfüllt zu bekommen, ohne daß sie sie aussprechen mußte. Dann wieder ärgerte sie sich darüber. Dann sah er ihre umwölkte Stirn und fragte: »Was hast du?« Woraufhin sie ihm einen gereizten Blick zuwarf und antwortete: »Ach, nichts. Verdammt noch mal! Du glaubst, du könntest meine Gedanken lesen, aber du liegst oft weit daneben. Wenn es etwas zu sagen gibt, werde ich es sagen. Du solltest dein Glück nicht herausfordern.« Sie hatte viel Mühe darauf verwandt, den Eindruck einer starken Frau zu machen, und wollte nicht, daß der Mann, den sie liebte, ihre Schwäche erkannte.
Medikamente waren, wie er schon bald entdeckte, auch für Neela ein Problem, und das war wieder etwas, das sie gemeinsam hatten: Sie waren entschlossen, ihre Dämonen zu besiegen, ohne dem anderen dabei eine Szene zu machen. Deswegen zog sie sich, wenn ihr elend zumute war, wenn sie mit sich selbst kämpfen mußte, von ihm zurück, wollte ihn weder sehen noch ihm erklären, warum, und erwartete von ihm Verständnis, erwartete, daß er reif genug war, um sie in Ruhe zu lassen; kurz gesagt, er mußte sich zum erstenmal in seinem Leben seinem Alter entsprechend verhalten. Sie war eine äußerst nervöse Frau und räumte zuweilen ein, daß es ein Albtraum sein müsse, mit ihr zusammenzuleben, worauf er erwiderte: »Ja, aber es gibt Entschädigungen.« »Hoffentlich sind sie groß genug«, gab sie zurück und machte ein aufrichtig besorgtes Gesicht. »Wenn sie das nicht wären, müßte ich ja wohl ziemlich dämlich sein, nicht wahr?« Er grinste, und sie entspannte sich und rückte näher. »Das stimmt«, tröstete sie sich selbst. »Und das bist du nicht.«
Was ihren Körper betraf, so gab sie sich überaus locker und fühlte sich nackt sogar wohler als bekleidet. Mehr als einmal mußte er sie ermahnen, sich anzuziehen, wenn jemand an ihre Tür klopfte. Aber sie wollte unbedingt ein paar Geheimnisse hüten, um ihr Mysterium zu bewahren. Daß sie häufig in sich gekehrt war, daß sie vor zu aufdringlichen Blicken zurückschreckte, hatte mit diesem sehr unamerikanischen - diesem eindeutig englischen - Bewußtsein vom Wert der Zurückhaltung zu tun. Sie behauptete, es habe nichts mit der Frage zu tun, ob sie ihn liebe oder nicht, was sie auf eine tiefe und verwirrende Art ja tat. »Hör zu, es ist ganz einfach«, antwortete sie, als er sie fragte, warum. »Du magst mit deinen Puppen und Websites und so ja äußerst kreativ sein, aber soweit es mich angeht, besteht deine einzige Aufgabe darin, daß du in mein Bett kommst, wann immer ich es dir befehle, und mir jeden Wunsch von den Augen abliest.« Und Professor Malik Solanka, der sein Leben lang ein Sexobjekt hatte sein wollen, war ob dieses sehr autoritativen Diktums unsinnigerweise höchst erfreut.
Nach der Liebe steckte sie sich eine Zigarette an und setzte sich splitternackt ans Fenster, um zu rauchen, weil sie wußte, wie sehr er Tabakrauch haßte. Glückliche Nachbarn, dachte er, sie aber lehnte derartige Erwägungen als bourgeois und weit unter ihrem Niveau ab. Mit ausdrucksloser Miene kehrte sie zu der Frage zurück, die er gestellt hatte. »Das Problem mit dir ist«, erläuterte sie, »daß du ein Herz hast. Das ist heutzutage eine sehr seltene Eigenschaft bei einem Mann. Zum Beispiel Babur: ein erstaunlicher Mann, brillant, wirklich, aber total verliebt in die Revolution. Die Menschen sind nichts als Figuren in seinem Spiel. Bei den meisten anderen Männern ist es Status, Geld, Macht, Golf, Ego. Zum Beispiel Jack.« Solanka haßte diese Lobrede auf den gut gebauten Fahnenschwinger vom
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