Wut
dieses außergewöhnlichen Außerirdischen, ihres Körpers, lebte: durch dessen große Augen blickte, seine langen Gliedmaßen bewegte und ihr Glück nicht ganz begreifen konnte. Ihre Wirkung auf die Umgebung - die abgestürzten Fensterputzer, die bisweilen mit Eimern auf dem Kopf breitbeinig auf den Bürgersteigen saßen, die schleudernden Autos, die Gefährdung der Hackebeil schwingenden Schlachter, wenn sie Fleisch einkaufen wollte - war ein Phänomen, dessen Folgen ihr trotz ihrer vorgetäuschten Sorglosigkeit eindeutig klar waren. Sie vermochte die Wirkung bis zu einem gewissen Grad zu steuern. »Sie weiß nicht, wie sie das abstellen soll«, hatte Jack gesagt, und das traf zu, aber durch weite Kleidung (die sie haßte) und breitrandige Hüte (die sie liebte, weil sie die Sonne haßte) konnte sie sie herunterspielen. Und noch eindrucksvoller: Sie konnte die Reaktion der anderen auf sich verstärken, indem sie die Länge ihrer Schritte, die Neigung ihres Kinns, den Ausdruck ihres Mundes und ihrer Stimme um winzige Grade veränderte. Bei maximaler Intensität drohte sie ganze Polizeireviere in Katastrophengebiete zu verwandeln, und Solanka mußte sie bitten, damit aufzuhören, nicht zuletzt wegen der Wirkung auf den Zustand seines eigenen Körpers und Verstandes. Sie liebte Komplimente, beschrieb sich selbst als pflegeintensives Mädchen und gab gelegentlich bereitwillig zu, daß diese Teilung ihrer Person in Form und Inhalt eine nützliche Erfindung war. Die Bezeichnung ihres sexuellen Ichs als die Andere die in Abständen herauskam, um auf die Pirsch zu gehen, und sich nicht daran hindern ließ, war eine kluge List, der Trick eines schüchternen Menschen, sich als extravertiert hinzustellen. So konnte sie den Lohn ihrer außerordentlichen erotischen Hingabe einheimsen, ohne von der Unbeholfenheit gelähmt zu werden, die sie als stotterndes junges Mädchen geplagt hatte. Zu klug, um offen von dem starken Gefühl für Recht und Unrecht zu sprechen, das auf subtile Weise all ihre Handlungen bestimmte, zog sie es vor, die Comic-Sexbombe Jessica Rabbit zu zitieren. »Ich bin nicht schlecht«, schnurrte sie gern bescheiden. »Man hat mich nur so gezeichnet.«
Sie hielt ihn umschlungen. Der Kontrast zu der Liaison mit Mila war auffallend. Bei Mila hatte Solanka sich der kranken Verlockung des Unaussprechlichen, des Unerlaubten hingegeben, während bei Neela, wenn sie ihn umschlang, das Gegenteil geschah und alles aussprechlich war und ausgesprochen wurde, alles erlaubt war und erlaubt wurde. Dies war keine Kind-Frau, und was er mit ihr zusammen entdeckte, war die Freude der Erwachsenen an nicht verbotener Liebe. Die Faszination, die Mila auf ihn ausübte, betrachtete er jetzt als Schwäche; diese neue Verbindung erschien ihm als Stärke. Mila hatte ihn beschuldigt, ein Optimist zu sein, und hatte recht. Neela war die Rechtfertigung dieses Optimismus. Und, jawohl, er war Mila dankbar dafür, daß sie den Schlüssel zum Tor seiner Phantasie gefunden hatte. Aber wenn Mila Milo das Schleusentor geöffnet hatte, war Neela Mahendra die Wasserflut.
In Neelas Armen spürte Solanka, wie er sich zu ändern begann, spürte, wie die inneren Dämonen, die er so sehr fürchtete, tagtäglich schwächer wurden, spürte, wie der unberechenbare Jähzorn der wunderbaren Berechenbarkeit der neuen Liebe wich. Packt eure Koffer, Furien, dachte er, ihr wohnt nicht mehr in diesem Haus. Wenn er recht hatte und der Ursprung der Wut in den sich anhäufenden Enttäuschungen des Lebens lag, dann hatte er das Gegenmittel gefunden, welches das Gift in sein Gegenteil verwandelte. Denn furia konnte auch Ekstase sein, und Neelas Liebe war der Stein der Weisen, der die verwandelnde Alchimie ermöglichte. Wut erwuchs aus Verzweiflung: Neela aber war die erfüllte Hoffnung.
Die Tür zu seiner Vergangenheit blieb geschlossen, und sie hatte soviel Takt, vorerst noch nicht daran zu rütteln. Ihr Bedürfnis nach einer gewissen persönlichen und emotionalen Abschottung war beträchtlich. Nach jener ersten Nacht in einem Hotelzimmer hatte sie darauf bestanden, für ihre Begegnungen ihr eigenes Bett zu benutzen, hatte ihm aber klargemacht, daß er nicht über Nacht bleiben durfte. Im Schlaf wurde sie zwar von Albträumen heimgesucht, lehnte es aber ab, sich von ihm trösten zu lassen. Sie zog es vor, ihre Traumgestalten allein zu bekämpfen und am Ende eines jeden Nachtkrieges langsam und definitiv allein zu erwachen. Da ihm nichts anderes übrigblieb,
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