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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Washington Square, empfand ein leichtes Schuldbewußtsein bei dem positiven Vergleich mit seinem toten Freund und sagte das auch. »Siehst du?« staunte sie. »Du hast nicht nur Gefühle, du kannst tatsächlich darüber reden. Wow! Endlich ein Mann, bei dem zu bleiben sich wirklich lohnt.« Solanka hatte das Gefühl, daß sie sich irgendwie über ihn mokierte, vermochte aber nicht so recht zu sagen, wo dabei der Witz war. Da er sich töricht vorkam, konzentrierte er sich auf ihren liebevollen Ton. Liebestrank Numero neun. Das war der Balsam für seine Seele.
     
    In der Wohnung an der Bedford Street war Indien in der übertriebenen Manier der Diaspora allüberall präsent: die filmi -Musik, die Kerzen und das Räucherwerk, der Krischna-und-Milchmädchen-Kalender, die Dhurries auf dem Boden, das Bild von der Company School, die Hookah-Pfeife, die sich wie eine ausgestopfte grüne Schlange auf dem Bücherregal ringelte. Neelas Alter ego in Bombay, sinnierte Solanka, während er sich anzog, würde vermutlich zur stark verwestlichten, kalifornisch-minimalistischen Schlichtheit tendieren ... aber lassen wir Bombay. Neela zog sich ebenfalls an, wählte ihr aerodynamischstes , supereng anliegendes schwarzes Kleid aus einem namenlosen Raumzeitalter-Material. Sie mußte, obwohl es schon spät war, ins Büro. Die Vorproduktionsphase der Lilliput-Dokumentation war fast beendet, und sie würde bald ans andere Ende der Welt aufbrechen. Es gab noch sehr viel zu tun. Gewöhn dich dran, dachte Solanka. Der Grund für ihre Abwesenheit ist sowohl beruflicher als auch persönlicher Art. Mit dieser Frau Zusammenleben heißt auch lernen, ohne sie zu leben. Sie schnürte ihre weißen Straßen- Flyer - Turnschuhe mit ausfahrbaren, in die Sohlen eingearbeiteten Rädern - und schoß davon, daß ihr langer schwarzer Pferdeschwanz flatterte. Solanka stand auf dem Bürgersteig und sah ihr nach. Die Wirkung , stellte er fest, als das übliche Chaos einsetzte, funktioniert auch im Dunkeln.
     
    Er ging zu FAO Schwarz und schickte Asmaan per Post einen Elefanten. Bald würden die letzten Reste der alten Wut durch das neue Glück vertrieben worden sein, und er würde sich sicher genug fühlen, um ins Leben seines Sohnes zurückzukehren. Dazu würde er jedoch Eleanor gegenübertreten und sie mit der Tatsache konfrontieren müssen, die zu akzeptieren sie sich immer noch weigerte. Er würde ihr die Endgültigkeit wie ein Messer in das gute, liebende Herz stoßen müssen.
    Er rief an, um Asmaan mitzuteilen, daß es eine Überraschung geben würde. Große Aufregung. »Was ist da drin? Was sagt es? Was wird Morgen sagen?« Eleanor und Asmaan hatten mit den Franzens in Florenz Urlaub gemacht. »Da gibt es teinen Strand. Nein. Es gibt einen Fluß, aber in dem tonnte ich nicht schwimmen. Vielleicht tomme ich wieder, wenn ich größer bin, und schwimme in dem Fluß. Ich hatte keine Angst, Daddy. Deswegen haben Morgen und Lin gerufen. Mummy nicht. Mummy hat nicht gerufen. Das glaube ich jedenfalls. Keine Angst, Morgen, hat sie gesagt. Lin ist so nett. Mummy ist auch so nett. Das finde ich jedenfalls.«
    Er war ein bißchen zum Angsthaben. Morgen. Ein ganz kleines bißchen. Wollte er mich zum Lachen bringen? Bestimmt. »Weißt du was, Daddy? Was er gesagt hat? Wir sind zu den Statuen gegangen, aber Lin tonnte nicht mitkommen. Deswegen hat sie geweint. Sie ist zu Hause geblieben. Nicht bei uns zu Hause, aber doch. Ai caramba.« Das hieß, wie Solanka erst nach einem Moment begriff, I can’t remember, ich kann mich nicht erinnern. »Da sind wir geblieben. Ja. Es war sehr schön. Ich hatte mein eigenes Zimmer. Das fand ich schön. Ich hab einen Bogen mit einem Pfeil. Ich mag dich, Daddy, tommst du heute nach Hause? Samstag, Dienstag? Das solltest du. Bye.«
    Eleanor übernahm. »Ja, es war schwierig. Aber Florenz war zauberhaft. Wie geht’s dir?« Er überlegte eine Minute. »Gut«, sagte er dann. »Mir geht’s gut.« Sie überlegte eine Minute. »Du solltest ihm nicht versprechen, daß du kommst, wenn du dann doch nicht kommst«, sagte sie, nach Informationen angelnd. »Was ist los?« erkundigte er sich, um das Thema zu wechseln. »Was ist mit dir los?« gab sie zurück. Das genügte. Er hatte bereits die verräterische Falschheit in ihrer Stimme gehört, und sie in der seinen. Aus dem Gleichgewicht gebracht von dem, was er gerade erst begriffen hatte, machte Solanka den Fehler, sich in Neelas Dialog zu flüchten: »Was zum Teufel! Du glaubst, du kannst

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