Wut
Stiefvater.)
Von jenem Tag an hatte sich auch Maliks Mutter verändert; ununterbrochen entschuldigte sie sich bei ihrem kleinen Sohn und weinte ohne Unterlaß. Er konnte kaum ein Wort mit ihr sprechen, ohne ein gräßliches Geheul schuldbewußten Kummers auszulösen. Dadurch wurde sie Malik fremd. Er brauchte eine Mutter und nicht ein Wasserwerk wie das auf dem Monopoly-Brett. »Bitte, Ammi«, ermahnte er sie, als sie sich wieder einmal in einen ihrer häufigen Umarmungs- und Schluchzanfälle stürzte. »Wenn ich mich zusammennehmen kann, dann kannst du das auch.« Pikiert ließ sie ihn los und weinte von da an nur noch allein in ihre Kissen. So gewann das Leben eine oberflächliche Normalität zurück, Dr. Solanka ging seinem Beruf nach, Mallika führte den Haushalt, und Malik verschloß seine Gedanken in seinem Inneren, um sich nur in den dunklen Stunden und nur flüsternd den Puppen anzuvertrauen, die er im Bett wie Schutzengel, wie Blutsverwandte um sich herum versammelt hatte: die einzige Familie, der er noch vertrauen konnte.
»Der Rest ist unwichtig«, sagte er, als er seine Beichte beendete. »Der Rest ist normal - weitermachen, erwachsen werden, fortgehen, mein eigenes Leben führen.« Eine Riesenlast war ihm von den Schultern gefallen. »Ich brauche sie nicht mehr mit mir herumzuschleppen«, ergänzte er voll Staunen. Neela nahm ihn in die Arme und rückte näher. »Jetzt bin ich es, die dich gefangenhält«, sagte sie. »Jetzt bin ich es, die dich bittet, hierhin zu gehen, jenes zu tun. Aber diesmal ist es, was wir beide wollen. In diesem Gefängnis bist du endlich frei.« Entspannt sank er an ihre Brust, obwohl er wußte, daß ein letztes Tor noch nicht geöffnet worden war: das Tor der vollen Aufdeckung, der absoluten, brutalen Wahrheit, hinter dem sich die seltsame Beziehung verbarg, die zwischen Mila Milo und ihm entstanden war. Aber das, redete er sich katastrophalerweise ein, hebe ich mir für einen anderen Tag auf.
Überall auf der Welt - in Großbritannien, in Indien, im fernen Lilliput - waren die Menschen besessen von dem Gedanken an Erfolg in Amerika. Neela war zu Hause berühmt, einfach weil sie es geschafft hatte, in den amerikanischen Medien einen guten Job zu bekommen - groß angekommen zu sein . In Indien war man sehr stolz auf die Erfolge von U.S.-Indern in der Musik, im Verlagswesen (allerdings nicht als Autoren), in Silicon Valley und in Hollywood. Die britische Hysterie stieg sogar noch höher. Britischer Journalist findet Arbeit in den USA! Unglaublich! Superstar! Britischer Crossdressing-Comedian gewinnt zwei Emmys! Fabelhaft - wir wußten schon immer, daß britische Transvestiten die besten sind! Erfolg in Amerika war zum einzigen Maßstab für den eigenen Wert geworden. Oho, Kniefall, dachte Malik Solanka. Heutzutage kann keiner mehr dem Geld widerstehen, und das gesamte Geld war hier - hier in diesem Gelobten Land. Derartige Überlegungen waren relevant geworden, denn mit Mitte Fünfzig erlebte er die geballte Macht eines echten amerikanischen Hits, eine Macht, die alle Türen der Stadt aufstieß, ihre Geheimnisse bloßlegte und zum Schlemmen einlud, bis man platzte. Der Galileo-Start, ein nie dagewesenes, interdisziplinäres Geschäftsunternehmen, hatte sofort intergalaktische Ausmaße angenommen. Er wurde zu jenem glücklichen Zufall: einem notwendigen Mythos. T-Shirts mit dem Aufdruck Das Recht des Stärkeren zierten die vornehmsten Brustkörbe der Stadt, wurden zum triumphalistischen Slogan für die Fitneß-Generation, die über Nacht zur Masse geworden war. Und auch auf einigen der schlaffsten Bäuche wurden sie getragen - als Beweis für den Sinn des Trägers für Ironie und Spaß. Die Nachfrage nach dem Playstation-Videogame überstieg alle Voraussagen und ließ sogar Lara Croft weit hinter sich. Auf dem Höhepunkt des Star Wars-Phänomens hatten die Nebenprodukte ein Viertel des Umsatzes der Spielzeugindustrie weltweit ausgemacht; dem war seither nur das Braingirl nahe gekommen. Jetzt setzte die Saga von Galileo-I neue Rekorde, und dieses Mal wurde die globale Raserei nicht von Film oder Fernsehen angeheizt, sondern von einer Website. Das neue Kommunikations-Medium zahlte sich endlich aus. Nachdem den Sommer über das Potential zahlreicher unprofitabler Internetfirmen mit Skepsis beobachtet worden war, kam hier nun die vorausgesagte schöne neue Welt. Professor Solankas überraschend glatthäutiges Ungeheuer begab sich, nachdem seine Stunde endlich gekommen war, auf
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