Wut
bedeckten Planeten, die ein einziges gigantisches Gehirn bilden, das die Gedanken der Menschen lesen und ihre Träume wahr werden lassen kann, kehrt der Raumfahrerheld endlich nach Hause zurück und sitzt auf seiner längst verlorenen russischen Datscha, während seine Kinder fröhlich um ihn herum spielen und seine schöne, tote Frau wieder lebendig neben ihm sitzt. Als die Kamera zurückfährt, endlos, unvorstellbar weit, erkennen wir, daß die Datscha ein winziges Inselchen im großen Meer von Solaris ist: eine Sinnestäuschung oder vielleicht auch eine tiefere Wahrheit als die Wahrheit. Die Datscha schrumpft zu einem Punkt und verschwindet, und wir bleiben zurück mit der Vorstellung des mächtigen, verführerischen Ozeans der Erinnerung, der Phantasie und der Träume, wo nichts stirbt, wo alles, was du brauchst, immerwährend auf einer Veranda wartet oder mit kindlichem Jubel und glücklich ausgebreiteten Armen über einen grünen Rasen auf dich zugelaufen kommt. Erzähl’s mir. Ich weiß schon alles. Neela, die Herzenskluge, hatte erraten, warum die Vergangenheit für Professor Solanka keine Freude war. Als er Solaris sah, hatte er die letzte Szene erschreckend gefunden. Ich habe so einen Mann gekannt, dachte er, einen Mann, der in der Illusion von Vaterschaft lebte, gefangen in einem grausamen Irrtum über die Natur väterlicher Liebe. Auch so ein Kind habe ich gekannt, dachte er, das auf den Mann zuläuft, der die Rolle des Vaters spielt, aber diese Rolle ist eine Lüge, eine Lüge. Es gab keinen Vater. Es gab kein glückliches Elternhaus. Das Kind war nicht es selbst. Nichts war so, wie es den Anschein hatte.
Jawohl, Bombay kam zurückgeflutet, und Solanka lebte wieder dort, oder wenigstens in dem einzigen Teil der Stadt, der wirklich Macht über ihn besaß, jenes kleine Stück der Vergangenheit, aus dem ganze Infernos heraufbeschworen werden konnten, sein verdammtes Yoknapawtapha, sein verfluchtes Malgudi, das seine Zukunft bestimmt und dessen Erinnerung er über ein halbes Leben lang unterdrückt hatte. Methwold’s Estate: Das war mehr als genug für ihn. Und vor allem eine Wohnung in einem Block namens Noor Ville, in dem er eine sehr lange Zeit wie ein Mädchen aufgezogen worden war.
Anfangs konnte er dieser Geschichte nicht in die Augen sehen, hatte sich ihr nur seitwärts genähert, indem er von den Bougainvilleen sprach, die über die Veranda kletterten und dabei wie ein Arcimboldo-Einbrecher aussahen oder wie sein Stiefvater nächtens an seinem Bett. Oder er hatte die Krähen beschrieben, die krächzend wie böse Omina auf seine Fensterbank kamen, und war zu der Überzeugung gelangt, daß er ihre Warnungen vielleicht sogar verstanden hätte, wenn er nur nicht so dumm gewesen wäre, wenn er sich nur ein bißchen mehr zusammengerissen hätte; dann hätte er von zu Hause fortlaufen können, bevor etwas geschah, so daß es seine eigene Schuld war, seine eigene dumme Schuld, daß er diese ganz einfache Aufgabe nicht bewältigt hatte, nämlich die Sprache der Vögel zu verstehen. Oder er sprach von seinem besten Freund, Chandra Venkataraghavan, dessen Vater die Familie verließ, als er selber zehn Jahre alt war. Malik saß in Chandras Zimmer und befragte den verwirrten Jungen. Sag mir, wie sehr es schmerzt, bat Malik Chandra. Ich muß es wissen. So sollte es auch mich schmerzen. Maliks Vater war verschwunden, als sein Sohn noch nicht einmal ein Jahr alt war; Mallika, seine hübsche, junge Mutter, hatte sämtliche Fotos verbrannt und innerhalb eines Jahres wieder geheiratet, dankbar den Namen ihres zweiten Ehemannes angenommen, ihn an Malik weitergegeben und Malik so seiner Vergangenheit als auch seiner Gefühle beraubt. Sein Vater war fort, und er kannte nicht einmal dessen Namen, der doch auch der seine war. Wäre es nach seiner Mutter gegangen, hätte Malik womöglich nicht einmal von der Existenz seines Vaters erfahren, aber sein Stiefvater erzählte es ihm sofort, als er alt genug war, es zu verstehen. Sein Stiefvater, der sich vom Vorwurf des Inzests befreien mußte. Davon vor allem.
Was hatte sein Vater für einen Beruf gehabt? Das wurde Malik niemals erklärt. War er dick oder dünn, groß oder klein? Waren seine Haare lockig oder glatt? Alles, was er tun konnte, war, in den Spiegel zu sehen. Das Geheimnis vom Aussehen seines Vaters würde gelüftet werden, wenn er heranwuchs und das Gesicht im Spiegel seine Fragen beantwortete. »Wir sind jetzt Solankas«, schärfte ihm die Mutter ein. »Ein
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