Wut
Projekts der Marionettenkönige von Galileo und sein gigantischer Erfolg, der Gegenschlag von Commander Akasz , Neelas bevorstehende Abreise: ein derart beschleunigter Zeitablauf war auf fast komische Weise überwältigend. Neela selbst spürte nichts davon; als Wesen von Tempo und Bewegung, als Kind ihres hektischen Zeitalters akzeptierte sie das augenblickliche Tempo des Wechsels als normal. »Wenn du so redest, klingst du fürchterlich alt«, schalt sie ihn. »Hör auf damit und komm sofort her!« Sie zogen ihren letzten Liebesakt genüßlich und ohne Eile lange hinaus. Nichts mehr von exzessiver postmoderner Hektik. Es gab also immer noch ein paar Gebiete, auf denen die Jungen Langsamkeit zu schätzen wußten.
Er glitt in einen traumlosen Schlaf hinüber, erwachte zwei Stunden später jedoch aus einem Albtraum. Neela war noch immer da - sie übernachtete gern in Solankas Wohnung, obwohl sie es weiterhin nicht mochte, wenn sie neben ihm in ihrem eigenen Bett erwachte, eine Forderung, die er ohne Einwände akzeptiert hatte -, aber es war noch eine fremde Person im Raum, nein, ein sehr großer Mann stand auf Solankas Seite am Bett und hielt - oh, gräßliches Spiegelbild von Solankas eigener Untat! - ein gefährlich aussehendes Messer empor. Sofort hellwach, fuhr Solanka senkrecht im Bett hoch. Der Eindringling begrüßte ihn, indem er die Klinge vage in seine Richtung schwenkte. »Professor«, sagte Eddie Ford nicht ohne eine gewisse Höflichkeit, »es freut mich, daß Sie heute abend bei uns sein können.«
Schon früher einmal, vor Jahren in London, war Solanka mit einem Messer bedroht worden - von einem jungen Schwarzen, der aus einem Cabrio sprang und sofort eine Telefonzelle benutzen wollte, die Solanka gerade betreten hatte. »Es geht um eine Frau, Mann«, hatte der argumentiert. »Also ist es dringend, klar?« Als Solanka erklärte, sein eigener Anruf sei ebenfalls wichtig, ging der junge Mann hoch. »Ich werd’ dich aufschlitzen, du Bastard, sieh dich vor! Das ist mir scheißegal, okay?« Solanka hatte hart an seiner Körpersprache gearbeitet. Es galt, nicht zu ängstlich, aber auch nicht zu selbstsicher zu wirken. Man mußte auf Messers Schneide balancieren. Außerdem war er bemüht, ruhig zu sprechen. »Das wäre wirklich nicht gut für mich«, sagte er, »aber für dich ebensowenig.« Darauf folgte ein Wettkampf der Blicke, bei dem Solanka klug genug war, den anderen gewinnen zu lassen. »Okay, verpiß dich, du Wichser, okay?« sagte der Mann mit dem Messer und trat in die Zelle, um seinen Anruf zu tätigen. »He, Baby, vergiß ihn, Baby, ich werd’ dir was zeigen, was dieser alte Saftsack nicht drauf hat.« Damit begann er in den Telefonhörer hinein voll Schmalz ein paar Takte zu singen, die Solanka als einen Song von Bruce Springsteen identifizierte. »Teil me now, baby, is your daddy home, did he go and leave you all alone, uh-huh, I got a bad desire; oh, oh, oh, I’m on fire.« Solanka aber ging schnellen Schrittes davon, bog um eine Ecke und sank zitternd mit dem Rücken an eine Wand.
Nun war es also wieder soweit, aber diesmal ging es um persönliche Dinge, und Körpersprache sowie Stimmkontrolle würden möglicherweise nicht genügen. Diesmal schlief eine Frau neben ihm im Bett. Eddie Ford hatte begonnen, am Fuß des Bettes langsam auf und ab zu gehen. »Ich weiß, was Sie im Sinn haben, Mann«, sagte er. »Sie große Filmkanone, Sie. Lincoln Plaza, et cetera, na klar. Knife in the Dark, davon haben Sie’s, zweiter Pink-Panther-Film, mit der hübschen Elke Sommer, stimmt’s?« Der Film hatte A Shot in the Dark geheißen, aber Solanka beschloß, Eddie zunächst mal nicht zu korrigieren. »Beschissene Messerfilme«, sinnierte Eddie. »Mila hat Bruno Ganz in Messer im Kopf gemocht, aber für mich müssen’s die alten Klassiker sein, Polanskis Messer im Wasser. Um seiner Frau zu imponieren, beginnt ein Mann mit einem Messer zu spielen. Sie hatte was übrig, für diesen beschissenen blonden Hitchhiker. Das war ein beschissener Fehler, Lady. Das war schlimm.«
Neela regte sich; wie so oft, weinte sie leise im Schlaf. »Still.« Solanka streichelte ihren Rücken. »Ist ja schon gut. Still.« Eddie nickte weise. »Vermutlich wird sie bald bei uns sein, Mann. Ich freu mich schon drauf.« Dann nahm er seinen Gedankengang wieder auf. »Wir teilen Filme oft ein, Mila und ich. Gruselig, gruseliger, am gruseligsten, und so. Für sie ist es Der Exorzist, Mann, der jetzt bald wieder neu rauskommt, mit
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