Wut
den Weg nach Bethlehem, um dort geboren zu werden. (Gewiß, es gab noch Schwachstellen: in den ersten Tagen brach die Site oft unter dem schieren Gewicht der Nachfrage zusammen, die schneller zu wachsen schien, als die Webspyders den Zugang durch Replikation und Mirroring, das Spinnen neuer, glänzender Fäden für das Netz erweitern konnten.)
Wieder einmal begannen Solankas fiktive Personen aus ihren Käfigen auszubrechen und sich davonzumachen. Aus allen Himmelsrichtungen kamen die Nachrichten von ihren Abbildern, die, gigantisch geworden, viele Stockwerke hoch an den städtischen Mauern klebten. Sie absolvierten öffentliche Auftritte, sangen bei Ballspielen die Nationalhymne, veröffentlichten Kochbücher, besuchten als Gäste die Letterman-Show. Die besten jungen Schauspielerinnen der Gegenwart wetteiferten öffentlich um die begehrte Hauptrolle der Zameen von Rijk und ihres Doubles, der Cyborg-Göttin des Sieges. Und dieses Mal empfand Solanka nichts von der alten Braingirl-Frustration, weil es, wie Mila Milo versprochen hatte, tatsächlich seine Show war. Er staunte über die eigene Erregung. Kreativ- und Firmenbesprechungen füllten seine Tage. Das E-Mail-Verhältnis mit den Webspyders war vorüber. Reguläre Zusammenkünfte waren notwendig. Das einzige Haar in dieser eines Krösus würdigen, fetten Suppe war der fortgesetzte, vielleicht sogar noch wachsende Zorn der sexuell verschmähten, vaterfixierten Mila. Mit steinernen Mienen erschienen Mila und Eddie bei den wichtigsten Besprechungen und gingen, ohne Solanka ein freundliches Wort zu gönnen. Ihre Haare und Augen sprachen jedoch Bände. Sie wechselten häufig die Farbe, brannten an einem Tag wie Flammen und dräuten am nächsten schon wieder schwarz-finster. Häufig bissen sich die Kontaktlinsen grell mit den Haaren und ließen darauf schließen, daß Mila an diesem speziellen Tag besonders übler Laune war.
Solanka hatte keine Zeit für das Problem Mila. Die Gründerpartner des Galileo-Projektes sprudelten über von Diversifikationsideen: eine Restaurantkette! Ein Themenpark! Ein riesiges Hotel in Las Vegas mit einem Unterhaltungszentrum und einem Casino in Form der beiden Baburia-Inseln, mitten in einen künstlichen Ozean ins Herz der Wüste gesetzt! Das Heer der Geschäftsleute, das interessiert an die Tür klopfte und eingelassen werden wollte, war fast so schwer zu bestimmen wie die Zahlen von Pi hinter dem Komma. Die Webspyders kreierten und erhielten fast täglich neue Vorschläge für die Zukunft des Projekts, und Malik Solanka stürzte sich in die Ekstase, die furia , der Arbeit.
Das Eingreifen der lebenden Puppen vom imaginären Planeten Galileo-I in die öffentlichen Angelegenheiten der tatsächlich existierenden Erde war jedoch nicht vorgesehen. Es war Neela, die Solanka die Nachricht überbrachte. In höchster Erregung erschien sie in der West Seventieth Street. Beim Sprechen blitzten ihre Augen. In Lilliput hatte es einen Gegenschlag gegeben. Begonnen hatte er als Einbruch: Maskierte Männer raubten Mildendos größtes Spielzeuggeschäft aus und machten sich mit dem gesamten, soeben erst importierten Vorrat an Kronosschen Cyborg-Masken und -Kostümen davon. Interessanterweise wurden - in Anbetracht des Namens von Neelas barbrüstigem, flaggenschwingendem Kumpel - keine baburischen Kostüme gestohlen. Die FRM-Radikalen, die revolutionären Indo-Lilly- Fremen , die den Raubzug angezettelt hatten, identifizierten sich, wie später bekannt wurde, sehr stark mit den Marionettenkönigen, deren unveräußerliches Recht, als Gleichgestellte - als moralisch und empfindungsmäßig vollgültige Wesen - behandelt zu werden, ihnen von Mogol, dem Baburier, ihrem Todfeind, verweigert wurde, dessen Inkarnation zu sein man Skyresh Bolgolam vorwarf.
Bisher klangen die Nachrichten eher kurios, wie eine exotische, unwichtige Verirrung im fernen und daher leicht zu negierenden Südpazifik. Aber was folgte, war nicht so leicht zu ignorieren. Tausende straff disziplinierter Filbistani -Revolutionäre hatten mit Waffengewalt Lilliput-Blefuscus Schlüsseleinrichtungen gleichzeitig angegriffen, hatten die bescheidene Elbee-Armee überrumpelt und die Bolgolamiten, die das Parlament, die Rundfunk- und Fernsehsender, die Telefongesellschaft und die Büros des Lillicon Internet Servers wie auch den Flugplatz und den Seehafen besetzt hielten, in heftige und lange Kämpfe verwickelt. Die Infanteristen trugen gewöhnlich Hüte, Visiere und Tücher, um ihre Gesichter
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