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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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nach Amerika gegangen, mitten in die Krise hinein.
    Perry Pincus war eine der ersten gewesen, die die Verbindung zwischen den beiden gespürt hatte. Sie war in ihre Geburtsstadt San Diego zurückgekehrt und lehrte nun an einem College die Werke einiger jener Kritiker und Autoren, mit denen sie einst im Bett gewesen war. Pincus 101 nannte sie das, dreist wie eh und je, auf einer der alljährlichen Urlaubskarten, die sie Professor Solanka zu senden pflegte. »Dies ist meine ganz persönliche Greatest-Hits-Sammlung, meine Top Twenty«, schrieb sie und setzte ein wenig bissig hinzu: »Sie gehören nicht dazu, Professor. Ich kann nicht im Werk eines Mannes herumspazieren, wenn ich nicht weiß, welchen Eingang er bevorzugt.« Ihre Festtagsgrüße waren unweigerlich und unverständlicherweise stets von einem Geschenk begleitet, einem Stofftier - Schnabeltier, Walroß, Eisbär. Eleanor hatte sich immer sehr über die alljährlichen Pakete aus Kalifornien amüsiert. »Weil du sie nicht bumsen wolltest«, erfuhr Professor Solanka von seiner Frau, »kann sie dich nicht als Liebhaber sehen. Also versucht sie statt dessen deine Mutter zu sein. Was ist das für ein Gefühl, Perry Arschkneiferins Little Boy zu sein?«

3
    In seiner komfortablen Untermietwohnung auf der Upper West Side, einem hübschen Duplex im ersten und zweiten Stock mit hohen Räumen und einer Bibliothek, die jedem größte Hochachtung vor den Eigentümern abnötigte, saß Professor Malik Solanka vor einem Glas rotem Geyserville-Zinfandel und trauerte. Der Entschluß fortzugehen war ausschließlich sein eigener gewesen; dennoch trauerte er seinem alten Leben nach. Was immer Eleanor am Telefon gesagt hatte, der Bruch war mit großer Sicherheit irreparabel. Solanka hatte sich niemals als Ausreißer oder Aufgeber empfunden, und dennoch hatte er mehr Häute abgestreift als eine Schlange. Heimat, Familie und nicht eine, sondern zwei Ehefrauen hatte er in seinem Kielwasser zurückgelassen. Und jetzt noch ein Kind. Vielleicht lag der Fehler darin, daß er seinen letzten Abgang als außergewöhnlich betrachtete. Die harte Wahrheit war vielleicht, daß er nicht gegen seine Natur, sondern ihren Befehlen entsprechend handelte. Wenn er nackt vor dem ungetrübten Spiegel der Wahrheit stand, dann war es dies, was er wirklich war.
    Und doch glaubte er, wie Perry Pincus, ein guter Mensch zu sein. Auch die Frauen glaubten daran. Weil sie in ihm eine wild entschlossene Verpflichtung spürten, wie sie bei modernen Männern nur selten zu finden ist, hatten sich häufig Frauen in ihn verliebt, sich selbst - diese ach so informierten, übervorsichtigen Frauen! - mit dem Tempo überrascht, mit dem sie sich ins wirklich tiefe emotionale Wasser stürzten. Und er enttäuschte sie niemals. Er war freundlich, verständnisvoll, großzügig, clever, komisch, erwachsen, und der Sex war gut, war immer gut. Diesmal ist es für immer, dachten sie, weil sie sehen konnten, daß er das ebenfalls dachte; sie fühlten sich geliebt, respektiert, in Sicherheit. Er sagte ihnen - jeder seiner Frauen nacheinander -, daß es Freundschaft war, statt Familienbande, was er zu bieten hatte, und mehr als Freundschaft, Liebe. Das klang richtig. Also ließen sie ihre Schutzschilde und sich selbst entspannt in all dieses Gute fallen, ohne zu erkennen, wie er sich innerlich wand, in dieser schrecklichen Schraube des Zweifels, bis er eines Tages überschnappte und der Alien aus seinem Bauch hervorbrach, bewaffnet mit vielfachen scharfen Zahnreihen. Nie sahen sie das Ende kommen, bis es zu spät war. Sara, seine erste Frau, die mit der Begabung für anschauliche Sprache, formulierte es so: »Er kam mir vor wie ein Axtmörder.«
    »Dein Problem ist«, sagte Sara nahe dem Ende ihres ersten Streites hitzig, »daß du im Grunde nur diese beschissenen Puppen liebst. Die Welt als leblose Miniatur, mehr kannst du nicht verkraften. Die Welt, die du erschaffen, wieder rückgängig machen und manipulieren kannst, mit Frauen, die niemals Widerworte geben, mit Frauen, die du nicht ficken mußt. Oder machst du sie inzwischen mit Mösen, Mösen aus Holz, Mösen aus Gummi, beschissenen aufblasbaren Mösen, Mösen, die quietschen wie Ballons, wenn du in sie hinein und wieder hinaus gleitest; hast du irgendwo in einem Schuppen vielleicht einen Harem aus lebensgroßen Fick-Puppen versteckt, werden sie so was finden, wenn du eines Tages wegen Vergewaltigung und Zerstückelung einer goldhaarigen Achtjährigen verhaftet wirst, einer

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