Wut
gottverdammte Höflichkeitslächeln war immer noch da, immer noch sofort abrufbereit. Professor Solanka dachte sich, daß er, wenn seine eigenen Gene ihn dazu verurteilt hätten, tagtäglich, sein Leben lang, eine solche Maske zu tragen, vor langer Zeit schon mit bandagierten Handgelenken hier gelandet wäre.
»Ulmensterben«, sagte Dubdub und zeigte auf ein paar Baumstümpfe. »Schreckliche Krankheit. Die Ulmen von Old England - fort und dahin.« Lorst and gorn. Professor Solanka sagte nichts. Er war nicht gekommen, um über Bäume zu sprechen. Dubdub wandte sich zu ihm um; er hatte verstanden. »Erwarte nichts, und du wirst niemals enttäuscht werden, eh?« murmelte er mit jungenhaft beschämter Miene. »Hätte auf meine eigenen Lektionen hören sollen.« Solanka antwortete immer noch nicht. Dann legte Dubdub zum erstenmal in vielen Jahren die Rolle des Old Etonian ab. »Es hat mit dem Leiden zu tun«, sagte er rundheraus. »Warum müssen wir alle so leiden? Warum gibt es so viel Leid? Warum kann das niemals aufhören? Man kann Deiche bauen, aber das Wasser kommt immer wieder durchgesickert, und dann gibt der Deich eines Tages nach. Und ich bin es nicht allein. Ich meine, ich bin es schon, aber es geht jedermann so. Dir auch. Warum geht es immer weiter? Es bringt uns um. Ich meine, mich. Es bringt mich um.«
»Das klingt mir ein bißchen zu abstrakt«, sagte Professor Solanka behutsam, sanft.
»Nun ja.« Das war eindeutig ein Klicken. Die Abwehrschilde waren wieder an Ort und Stelle. »Tut mir leid, daß ich nicht zum Kraulen komme. Bißchen mühsam, Braingirls Bär zu sein.«
»Bitte«, sagte Professor Solanka, »erzähl’s mir.« »Das ist das Schlimmste«, fuhr Dubdub fort. »Es gibt nichts zu erzählen. Kein direkter oder annähernder Grund. Du wachst eines Tages auf und bist nicht mehr Teil deines Lebens. Du kennst das. Dein Leben gehört nicht mehr dir. Dein Körper ist nicht mehr, ich weiß nicht, wie ich dir die Wucht dieses Gefühls erklären soll, nicht mehr der deine. Es gibt nur Leben, das Leben an sich. Du hast es nicht mehr. Du hast nichts mehr damit zu tun. Das ist alles. Das klingt nicht nach was Besonderem, aber glaube mir. Es ist, als würdest du jemanden hypnotisieren und ihn überzeugen, daß draußen vorm Fenster ein dicker Haufen Matratzen liegt. Er sieht also keinen Grund mehr, nicht zu springen.«
»Ich kenne das, oder eine weniger gravierende Version davon«, bestätigte Professor Solanka, während er an jene lange zurückliegende Nacht in Market Hill dachte. »Und du warst derjenige, der mich da herausgeholt hat. Jetzt ist es an mir, dir den gleichen Dienst zu erweisen.« Der andere schüttelte den Kopf. »Aus dem hier ist leider nicht so einfach herauszukommen.« Die Aufmerksamkeit, die er genossen hatte, der Prominentenstatus, hatte weitgehend zu Dubdubs Existenzkrise beigetragen. Je mehr er zu einer Persönlichkeit wurde, desto weniger fühlte er sich als Mensch. Schließlich hatte er beschlossen, sich ins Kloster des traditionellen Akademikerlebens zurückzuziehen. Nichts mehr von diesem Globetrotter Magic Christian Derridada! Nie mehr eine Performance . Beflügelt von seiner neuen Entschlossenheit, war er nach Cambridge zurückgeflogen, und zwar zusammen mit dem Literatur-Groupie Perry Pincus, einem schamlosen sexuellen Schmetterling, weil er tatsächlich daran glaubte, sich mit ihr niederlassen und um die Verbindung herum ein stabiles Leben aufbauen zu können. So weit war es mit ihm gekommen.
Krysztof Waterford-Wajda sollte noch drei weitere Selbstmordversuche überleben. Doch dann, nur einen Monat bevor Professor Solanka sich metaphorisch das eigene Leben nahm, indem er allem und jedem Lebwohl sagte, das ihm lieb war, und sich mit einer zottelhaarigen Puppe in den Armen nach Amerika aufmachte - einer speziellen Braingirl-Puppe aus der frühen Zeit, in limitierter Auflage, in miserablem Zustand, mit zerrissener Kleidung und beschädigtem Körper -, fiel Dubdub tot um. Drei Arterien waren total verstopft gewesen. Ein simpler Bypass hätte ihn retten können, aber er wollte nicht und stürzte wie eine englische Ulme. Was, wenn man nach Erklärungen suchen wollte, vielleicht dazu beitrug, Professor Solankas Metamorphose auszulösen. Als Professor Solanka in New York an seinen toten Freund dachte, wurde ihm klar, daß er in vielerlei Hinsicht Dubdubs Beispiel gefolgt war: in einem Teil seines Denkens, gewiß, aber auch mit seiner Entscheidung für die monde mediatique ; er war
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