Wut
ich kann verlieren, aber ich tu’s eben nicht. Dieses Spiel. Sie ist schuld daran, daß es mir immer noch im Kopf herumspukt, während sie auf und davon ist zum Universum des Was man hat, kann man auch zeigen . Ich sitze hier, umgeben von den verdammten couloirs der französischen Literatur, und sie sitzt in einem Jill-Sander-Business-Kostüm in einem Eckbüro im achtundvierzigsten Stock an der Sixth Avenue, wo sie, daran besteht kein Zweifel, ein paar ganz dicke Dollars einsteckt.«
»Ja, aber nur für’s Protokoll: Du hast sie verlassen«, betonte Eleanor. »Du hast eine Neue gefunden und Sara dafür eingetauscht: hast sie eiskalt und ohne Erklärung sitzenlassen. Und das ist die große, unerklärliche Frage über die Liebe, gestellt von deiner Queen Lear: Was in aller Welt hast du dir dabei gedacht? Außerdem hast du eine Retourkutsche gekriegt, als die nächste, die wagnerische Walküre mit der Harley, dir wegen welchem Komponisten den Laufpaß gegeben hat?« Sie kannte die Antwort nur zu gut, aber es war eine Geschichte, die beide genossen. »Dieser Scheiß-Rummenigge.« Solanka grinste, wurde wieder ruhiger. »Sie hat als Assistentin bei einem seiner Werke für drei Orchester und einen Sherman-Panzer mitgearbeitet, und hinterher schickte er ihr ein Telegramm. Bitte enthalte dich jeglicher sexuellen Kontakte, bis wir das feste Band erforschen können, das ganz offensichtlich zwischen uns besteht. Und am nächsten Tag eine Fahrkarte nach München, und sie verschwand jahrelang im Schwarzwald. Aber glücklich war sie nicht«, ergänzte er. »Wußte nie, wann es ihr gutging, verstehst du?« Als Solanka Eleanor verließ, fügte sie diesen Überlegungen ein bitteres Postskriptum an. »Eigentlich würde ich gern ihre Seite dieser Geschichten hören«, sagte sie bei einem schwierigen Telefongespräch. »Vielleicht warst du ja von Anfang an ein kaltherziges Schwein.«
Malik Solanka, der sich ganz allein zu einer spätabendlichen Kieslowski -Doppelvorstellung an der Lincoln Plaza begab, versuchte sich sein Leben als Dekalog-Film vorzustellen. Einen Kurzfilm über Fahnenflucht. Welche Gebote konnte man anführen, um diese Story zu illustrieren oder, wie der Kieslowski-Experte es ausdrückte, der die Episoden der letzten Woche einführte, um sie zu interpretieren? Es gab zahlreiche Gebote gegen die Sünden unzulässigen Verhaltens. Begehrlichkeit, Ehebruch, Wollust, diese Dinge wurden anathematisiert. Aber gab es auch Gesetze gegen die Sünden des unzulässigen Enthaltens? Du Sollst Kein Ewig Abwesender Vater Sein. Und Wenn Man Es Recht Bedenkt, Du Sollst Nicht Ohne Verdammt Triftigen Grund Aus Deinem Leben Scheiden, Junge, und Was Du Bis Jetzt Zu Bieten Hast, Ist Nicht Mal Annähernd Gut Genug. Was Hast Du Dir Gedacht? Daß Du Gottverdammt Alles Tun Kannst, Was Du Willst? Wofür Zum Teufel Hältst Du Dich: Hugh Hefner? Den Dalai Lama? Donald Trump? Was Für Ein Spielchen Treibst Du Da? He, Mann? He???
Sara Lear ist vermutlich genau hier in der Stadt, dachte er. Sie mußte jetzt Ende der Fünfziger sein, ein großes Tier mit dickem Portefeuille, den geheimen Reservierungsnummern für Pastis und Nobu und einem Wochenendhaus südlich des Highways in, äh, Amagansett. Dem Himmel sei Dank, daß er es nicht nötig hatte, sie aufzuspüren, aufzusuchen, ihr zur Wahl ihrer Lebensumstände zu gratulieren. Wie sie da triumphiert hätte! Denn sie hatten lange genug gelebt, um Zeuge des absoluten Siegeszugs der Werbung zu sein. Damals, in den Siebzigern, als Sara das ernsthafte Leben für das frivole aufgab, galt die Arbeit in der Werbung für ein wenig anrüchig. Man bekannte sich Freunden gegenüber nur mit gesenkter Stimme und niedergeschlagenen Augen dazu. Werbung war ein Gaunertrick, ein Betrug, der berüchtigte Feind des Versprechens. Sie war - gräßlicher Gedanke in jener Zeit - unverblümt kapitalistisch. Waren zu verkaufen war gewöhnlich. Jetzt wollten alle - berühmte Schriftsteller, große Maler, Architekten, Politiker - das Spiel mitspielen. Geheilte Alkoholiker priesen Schnaps an. Alle und alles war zu verkaufen.
Reklamen waren zu Kolossen geworden, kletterten wie King Kong die Hauswände empor. Und mehr noch, sie wurden geliebt. Wenn er vor dem Fernseher saß, schaltete Solanka bei der Werbung immer noch den Ton ab, während andere ihn, dessen war er sicher, noch lauter stellten. Die Girls in den Werbespots - Esther, Bridget, Elizabeth, Halle, Gisele, Tyra, Isis, Aphrodite, Kate - waren begehrenswerter als die
Weitere Kostenlose Bücher