Wut
hörte jetzt, was ihm entgangen war: den elegischen Unterton bei seinen Sexprahlereien. Den Gebrauch der Vergangenheitsform. Den Verlust. Er drängte Neela nicht, ihm alles zu erzählen. Es muß von selber kommen, dachte er. Sie sagt es mir schon noch. »Was halten Sie von der Wahl?« erkundigte sie sich und begann damit einen ihrer dramatischen Themenwechsel, an die sich Solanka schon bald gewöhnen sollte. »Ich sage Ihnen, was ich davon halte. Ich finde, die amerikanischen Wähler sind es dem Rest der Welt schuldig, nicht für Bush zu stimmen. Das ist ihre Pflicht. Ich will Ihnen sagen, was ich hasse«, ergänzte sie dann. »Ich hasse es, wenn die Leute behaupten, es gäbe keinen Unterschied zwischen den Kandidaten. Dieses Gush-und-Bore-Gerede wirkt so alt. Richtig krank macht es mich inzwischen.« Nicht der richtige Moment, dachte Solanka, um meine eigenen schuldbewußten Geheimnisse einzugestehen. Neela schien jedoch keine Antwort zu erwarten. »Keinen Unterschied?« rief sie empört. »Wie wär’s zum Beispiel mit Geographiekenntnissen? Wie wär’s zum Beispiel, wenn man wüßte, wo mein armes, kleines Heimatland auf der verdammten Weltkarte liegt?« Malik Solanka fiel ein, daß George W. Bush einen Monat vor dem Parteitag der Republikaner während eines Interviews über Auslandspolitik von der hinterlistigen Frage eines Journalisten überrascht wurde: »Angesichts der zunehmenden Instabilität der ethnischen Situation in Lilliput-Blefuscu - könnten Sie uns das Land auf der Karte zeigen? Und wie hieß noch gleich die Hauptstadt dort?« Zwei Slice-Bälle, zwei Treffer.
»Ich werde Ihnen sagen, was Jack von der Wahl hält.« Unvermittelt kam Neela auf das Thema zurück, während mit ihrer Stimme zugleich auch die Röte in ihrem Gesicht zu steigen begann. »Der neue Jack, der Aufsteiger, der Pseudoschwarze, der Truman-Capote-Rhinehart, denkt darüber nach, was seine Cäsaren in ihren Palästen wollen. Spring, Jack, und er springt himmelhoch. Tanz für uns, Jack, du bist ein so guter Tänzer, und er wird ihnen sämtliche altmodischen, dreißig Jahre alten Schritte zeigen, die die alten Weißen so mögen, er wird den swim , den hitch-hike und den walk the dog tanzen, er wird den mash , das funky chicken und die locomotion vorführen - die ganze Nacht. Bring uns zum Lachen, Jack, und er wird ihnen Witze erzählen wie ein Hofnarr. Vermutlich kennen Sie seine Lieblingswitze. Nachdem das FBI Monicas Kleid untersucht hatte, hieß es, sie könnten den Fleck nicht eindeutig identifizieren, weil in Arkansas alle dieselbe DNS hätten. Ja, den fanden sie komisch, die Cäsaren. Stimm für die Republikaner, Jack, du wirst’s nicht kapieren, aber wir möchten einen Schwarzen auf den Knien sehen. Braver Hund, Jack, jetzt lauf und leg dich im Zwinger hinter dem Haus schlafen. Ach, Liebling, würdest du Jack bitte einen Knochen geben? Er ist so süß. Ja, das wird sie, sie stammt aus dem Süden.« Ach so, Rhinehart war also ein böser Bube, dachte Solanka, und er erriet, daß Neela nicht daran gewöhnt war, hintergangen zu werden. Sie war daran gewöhnt, der Rattenfänger zu sein, mit reihenweise Männern, die ihr folgten und die sie hinführte, wo immer es ihr gefiel.
Sie beruhigte sich, sank zurück auf ihrer Bank und schloß ganz kurz die Augen. Die Frau auf der Bank neben ihnen hatte ihr Hero-Sandwich gegessen, beugte sich zu Neela hinüber und sagte: »Kindchen, den Kerl solltest du dir abschminken. Setz ihn heute noch mit seinem Arsch auf die Straße. Du hast es nicht nötig, dich mit ’nem dahergelaufenen Schoßhund abzugeben.« Neela wandte sich ihr zu, als begrüße sie eine alte Freundin. »Ma’am«, sagte sie ernst zu ihr, »in Ihrem Kühlschrank steht Milch, die länger hält als diese Beziehung.« »Kommen Sie, wir gehen«, befahl sie, und Solanka erhob sich gehorsam. Als sie außer Hörweite war, sagte sie: »Hören Sie, ich bin sauer auf Jack, das ist die eine Sache, aber ich habe auch Angst um ihn. Er braucht wirklich einen guten Freund, Malik. Er steckt ziemlich in der Klemme.« Wie Solanka nach dem Anruf erraten hatte, war Rhinehart deprimiert, und nicht nur über den Kollaps seines leicht verderblichen Milchkartons von Liebesaffäre. Die Begegnung mit Sara Lear, aus der ursprünglich ein Artikel über die großen Scheidungen unserer Zeit entstehen sollte, war zu einem fatalen Rückschlag für ihn geworden. Sara hatte sich gegen ihn gewandt, und ihre Feindschaft hatte ihn tief getroffen. Nach dem Verlust
Weitere Kostenlose Bücher