Wut
Herz verschlänge?
Er spürte, wie Neela Mahendras Hand sich ganz leicht auf seinen Arm legte. Die Wut verrauchte so schnell, wie sie gekommen war. Dieser Vorgang, das Aufsteigen und Verfliegen seines unberechenbaren Jähzorns, war so schnell geschehen, daß Malik Solanka sich schwindlig und benommen fühlte. War es wirklich geschehen? War er wirklich kurz davor gewesen, diesem superfitten Kerl die Glieder auszureißen? Und wenn ja, wie hatte Neela seine Wut - diese Wut, die Solanka zuweilen nur bekämpfen konnte, indem er stundenlang in abgedunkelten Zimmern lag, Atemübungen machte und sich rote Dreiecke vorstellte - nur durch eine Berührung dämpfen können? Konnte eine Frauenhand tatsächlich so große Macht besitzen? Und wenn ja (der Gedanke kam ihm unwillkürlich und wollte sich nicht verscheuchen lassen), war dies nicht eine Frau, die er behalten und für den Rest seines von Dämonen heimgesuchten Lebens lieben und ehren müßte? Er schüttelte den Kopf, um derartige Vorstellungen zu vertreiben, und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die beiden vor ihm. Neela schenkte dem jungen Jogger ihr strahlendstes Lächeln, ein Lächeln, nach dem man am liebsten sterben würde, weil das gesamte übrige Leben nur noch eine schale Antiklimax sein konnte. »Er ist nicht mein Vater«, erklärte sie dem von ihrem Lächeln geblendeten Träger des Jogginganzugs. »Er ist mein Lebensgefährte.« Diese Information traf den armen Kerl wie ein Hammerschlag; woraufhin Neela Mahendra, um ihre Worte zu unterstreichen, dem immer noch verwirrten Solanka einen langen, nachdrücklichen Kuß auf den unvorbereiteten, aber dennoch dankbaren Mund pflanzte. »Und raten Sie mal«, fuhr sie keuchend fort und holte Luft, um den Coup de grace anzubringen. »Er ist absolut phantastisch im Bett.«
»Was war denn das!« fragte der geschmeichelte und mehr als nur ein bißchen überwältigte Professor Solanka sie benommen, als der Jogger davongetrabt war, wobei er aussah, als sei er drauf und dran, sich selbst mit einem stumpfen Bambusstock den Bauch aufzuschlitzen. Sie lachte, ein lautes, boshaftes, meckerndes Geräusch, neben dem selbst Milas rauhes Gelächter damenhaft klang. »Ich hab gemerkt, daß Sie gleich die Fassung verlieren würden«, anwortete sie. »Und ich brauche Sie hier und jetzt, damit Sie mir zuhören, und nicht im Krankenhaus oder Gefängnis.« Das erklärt etwa achtzig Prozent, dachte Solanka, während sein Kopf allmählich aufhörte, sich zu drehen, erhellt aber nicht die volle Bedeutung dessen, was sie mit ihrer Zunge getan hatte.
Jack! Jack! ermahnte er sich. Das Thema dieses Nachmittags war Rhinehart, sein Freund, sein bester Kumpel, und nicht die Zunge der Freundin seines Freundes, egal wie lang und beweglich sie war. Sie setzten sich auf eine Bank am Teich, und dann liefen rings um sie herum die Herrchen, die ihre Hunde Gassi führten, gegen Bäume, verloren Tai-Chi-Übende das Gleichgewicht, stießen Rollerblader zusammen und marschierten Spaziergänger geradewegs in den Teich, als hätten sie vergessen, daß das Gewässer dort begann. Neela Mahendra ließ sich nicht anmerken, ob sie etwas davon bemerkte. Ein Mann kam mit einer Eistüte vorbei, die aufgrund eines unvermittelten, jedoch begreiflichen Verlustes der Hand-zu-Mund-Koordination seine Zunge verpaßte und statt dessen Kontakt mit dem Ohr bekam, das sie total bekleckerte. Ein anderer junger Mann begann, allem Anschein nach von echten Gefühlen übermannt, beim Vorüberjoggen heftig zu weinen. Nur eine afro-amerikanische Frau mittleren Alters, die auf der Nachbarbank saß (wer bin ich, daß ich vom mittleren Alter rede; sie ist vermutlich jünger als ich, dachte Solanka tief enttäuscht), schien immun gegen den Neela-Faktor zu sein, während sie sich, jeden Bissen mit einem genüßlichen Hmmm oder Ahhh begleitend, durch ein ellenlanges Eiersalat-Sandwich kaute. Neela dagegen hatte nur Augen für Professor Malik Solanka. »Übrigens ein erstaunlich guter Kuß«, sagte sie. »Wirklich erstklassig.«
Sie wandte sich von ihm ab und blickte auf den glitzernden Teich hinaus. »Es ist aus, zwischen Jack und mir«, fuhr sie dann hastig fort. »Vielleicht hat er’s Ihnen schon gesagt. Es ist seit längerer Zeit vorbei. Ich weiß, er ist ein guter Freund von Ihnen, und Sie sollten ihm jetzt ein guter Freund sein, aber ich kann nicht bei einem Mann bleiben, vor dem ich keinen Respekt mehr habe.« Pause. Solanka schwieg. Er rekapitulierte Rhineharts letzten Anruf und
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