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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Männer wurden vernommen, aber sie wurden nicht verhaftet. Und wie ich hörte, hat jeder von ihnen ein wasserdichtes Alibi für den Zeitpunkt, an dem seine Freundin starb. Zeugen, et cetera. Einer wurde in einer Bar gesehen, und so weiter, ich hab’s vergessen.« Sein Herz hämmerte. Eine Zeitlang, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, hatte er sich selbst die Schuld an diesen Verbrechen gegeben. Im Bewußtsein der Verwirrung im eigenen Herzen, dem brodelnden, chaotischen Sturm, hatte er sie mit der Verwirrung der Stadt in Verbindung gebracht und war kurz davor gewesen, sich schuldig zu bekennen. Jetzt stand, wie es schien, seine Entlastung kurz bevor, aber der Preis seiner Schuldlosigkeit konnte die Schuld seines Freundes bedeuten. Ungeheure Turbulenzen tobten in seinem Magen, verursachten ihm Übelkeit. »Und diese Skalpierungen«, zwang er sich, sie zu fragen, »wo in aller Welt haben Sie davon erfahren?«
    »O Gott«, klagte sie, das Schlimmste endlich auch noch aussprechend. »Ich hab seinen beschissenen Schrank aufgeräumt. Weiß Gott, warum. Sonst tu ich so was niemals für einen Mann. Dafür bin ich nicht geschaffen. Ich hatte ihn wirklich gern, ich glaube, fünf Minuten lang habe ich mir erlaubt... nun, wie dem auch sei, ich habe für ihn aufgeräumt, und ich habe, ich habe sie gefunden.« Abermals Tränen. Jetzt legte Solanka ihr die Hand auf den Arm, sie schmiegte sich an ihn, umarmte ihn und schluchzte. »Goofy«, sagte sie. »Ich habe sie alle drei gefunden. Diese beschissenen, lebensgroßen Kostüme. Goofy, Robin Hood und Buzz.«
     
    Sie hatte Rhinehart zur Rede gestellt, und er hatte sich furchtbar aufgeregt. Jawohl, aus Spaß hatten sich Marsalis, Andriessen und Medford diese Kostüme angezogen, um ihren Freundinnen aus der Ferne nachzuspionieren. Okay, ja, es war vielleicht ein geschmackloser Scherz, aber das machte sie doch nicht zu Killern. Und sie hatten die Kostüme nicht an den Mordabenden getragen, das war Unsinn: falsche Presseberichte. Aber sie hatten Angst, hättest du das nicht auch, und hatten Jack um Hilfe gebeten. »So ging es weiter, er beteuerte ihre Unschuld, leugnete, daß sein kostbarer Club eine Tarnorganisation für die schlüpfrigen Praktiken der Privilegierten ist.« Neela weigerte sich, das Thema zu wechseln. »Ich hab alles rausgelassen, was ich wußte, halb wußte, ahnte und argwöhnte, mit allem hab ich ihn konfrontiert und ihm erklärt, ich würde nicht aufhören, bis er mir sagt, was los ist.« Schließlich geriet er in Panik und rief: »Glaubst du wirklich, ich bin ein Mann, der abends rausgeht und den Frauen die Haare abschneidet?« Als ich ihn fragte, was das denn nun wieder bedeute, schien er auf einmal Todesangst zu haben und beteuerte, das habe er in der Zeitung gelesen. Der Schlag mit dem Tomahawk. Die siegreichen Krieger und ihre Beute. Aber sie war online gegangen und hatte die Archive aller Zeitungen in der Region Manhattan durchforscht und festgestellt: »Es steht nicht drin.«
    Neela wollte mit ihrem Kleid hübsch aussehen und nicht unbedingt warm angezogen sein, und der Nachmittag hatte inzwischen seinen Glanz verloren. Solanka zog seine Jacke aus und legte sie ihr um die zitternden Schultern. Rings um sie her verblaßten die Farben im Park. Die Welt wurde ein Ort der Schwarz- und Grautöne. Die Kleider der Frauen - atypisch für New York, war es eine Saison der leuchtenden Farben gewesen - wurden matt und monochrom. Unter einem graublauen Himmel bleichte das Grün aus den ausladenden Bäumen. Neela mußte hinaus, aus dieser plötzlich geisterhaften Umgebung. »Gehn wir was trinken«, schlug sie vor, erhob sich und war sofort mit langen Schritten auf und davon. »In der Seventy-seventh gibt es eine ganz ordentliche Hotelbar«, und Solanka ignorierte die inzwischen vertrauten Schocks und Katastrophen, die sie wie Hurrikan-Trümmer in ihrem Kielwasser zurückließ, und eilte ihr nach.
    Sie war Mitte der Siebziger in Mildendo geboren, der Hauptstadt von Lilliput-Blefuscu, wo ihre Familie auch jetzt noch lebte. Sie waren girmityas, Nachkommen der allerersten Fremdarbeiter - ihr Urgroßvater hatte damals, 1834, dem Jahr nach der Abschaffung der Sklaverei, einen Dienstkontrakt unterzeichnet, einen girmit . Biju Mahendra, aus dem kleinen indischen Dorf Titlipur, hatte mit seinem Bruder die lange Reise zu dieser Doppelinsel im fernen Südpazifik gemacht. Die Mahendras hatten auf Blefuscu, der fruchtbareren der beiden Inseln und Zentrum der Zuckerindustrie, gearbeitet.

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