Wut
Ende.
Das einzige übriggebliebene Porträt von Akasz Kronos zeigt einen Mann mit einem dichten Schopf langer, silberweißer Haare, die ein weiches, rundes, überraschend jungenhaftes Gesicht rahmten, beherrscht vom weindunklen Amorbogen des Mundes. Über einem gerüschten weißen, hoch geschlossenen Hemd trägt er ein bodenlanges graues Gewand, das an den Säumen und am Halsausschnitt mit Gold bestickt ist: das Urbild eines ehrwürdigen Genies. Der Ausdruck der Augen aber verrät Wahnsinn. Wenn wir genauer in die Dunkelheit blicken, die ihn umgibt, erkennen wir, daß zarte weiße Fäden von seinen Fingerspitzen ausgehen. Und erst nach eingehender Musterung bemerken wir links unten im Bild die kleine, bronzefarbene Gestalt eines Puppenspielers, aber selbst dann dauert es eine Weile, bevor uns klar wird, daß sich die Marionette der Kontrolle des Puppenspielers entzogen hat. Der Homunkulus kehrt seinem Schöpfer den Rücken und macht sich bereit, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, während Kronos, der verlassene Schöpfer, sich nicht nur von seiner Schöpfung, sondern auch von seinem Verstand verabschiedet.
Professor Kronos war nicht nur ein großer Wissenschaftler, sondern ein Unternehmer von machiavellischer Kühnheit und Geschicklichkeit. Während das Land der Rijk-Bewohner im Wasser versank, verlegte er das Zentrum seiner Geschäftstätigkeit auf zwei kleine Berginseln, welche an den galileischen Antipoden die primitive, doch unabhängige Nation Baburia bildeten. Hier verhandelte er mit dem Mogol, dem einheimischen Herrscher, über einen vorteilhaften Vertrag und Unterzeichnete ihn an Ort und Stelle. Die Baburier blieben Eigner ihres Territoriums, gewährten Kronos aber langfristige Pachtrechte für die Hochgebirgsalmen, für die er eine in den Augen des Mogols sehr hohe Pacht entrichtete: pro Jahr ein Paar Holzschuhe für jeden Bewohner Baburias, ob Mann, Frau oder Kind. Darüber hinaus erklärte sich Kronos bereit, Baburia gegen den Angriff des Rijk zu verteidigen, der mit Sicherheit kommen würde, sobald deren Land in den höhersteigenden Wogen versank. Dafür wurde ihm der Titel eines Retters der Nation sowie das Droit de Seigneur über alle jungen Bräute der Inseln verliehen. Nachdem sie sich geeinigt hatten, ging Kronos daran, jene Meisterwerke zu schaffen, die seinen Untergang besiegeln sollten, die sogenannte Monsterdynastie der Marionettencäsaren , auch bekannt als die schnurlosen Marionettenkönige des Professors Kronos.
Zameen, seine Geliebte, die legendäre Schönheit des Rijk und die einzige Wissenschaftlerin, die Kronos als ebenbürtig betrachtete, weigerte sich, ihn in seine neue antipodische Welt zu begleiten. Ihr Platz sei bei ihrem Volk, erklärte sie, und wenn es das Schicksal so wolle, werde sie mit diesen Menschen sterben. Akasz Kronos verließ sie, ohne mit der Wimper zu zucken, vielleicht weil er die vielfältigen sexuellen Abenteuer auf der anderen Seite der Welt bevorzugte.
Die zerrissenen Fäden auf dem Kronos-Porträt sind rein metaphorisch. Die künstlichen Lebensformen des Professors waren von Anfang an fadenlos. Sie gingen und sprachen: sie hatten einen Magen , kunstvolle Verdauungszentren, die normales Essen und normale Getränke verarbeiten konnten, waren mit Solarzellen-Reservesystemen ausgestattet, die es ihnen ermöglichten, länger als jedes menschliche Wesen wach zu bleiben und zu arbeiten. Sie waren schneller, stärker und klüger - einfach besser , erklärte ihnen Kronos - als ihre menschlichen, antipodischen Gastgeber. »Ihr seid Könige und Königinnen«, instruierte er seine Kreaturen. »Ihr werdet euch tadellos benehmen. Ihr seid jetzt die Herren.«
Er verlieh ihnen sogar die Möglichkeit, sich selbst zu reproduzieren. Jeder Cyborg erhielt seinen oder ihren Konstruktionsplan, damit sie sich theoretisch endlos selbst wiedererschaffen konnten. Dem Masterplan fügte Kronos jedoch eine Oberste Direktive hinzu: die Cyborgs und ihre Replikanten hatten jeden Befehl zu befolgen, den er ihnen gab, selbst den, ihrer eigenen Vernichtung zuzustimmen, sollte er sie für nötig halten. Er kleidete sie in Samt und Seide und vermittelte ihnen die Illusion, frei zu sein, in Wirklichkeit aber waren sie seine Sklaven. Er gab ihnen keine Namen. Sie waren Siebenstellige Nummern , die ihnen in die Handgelenke eingebrannt wurden, und wurden ausschließlich mit diesen angesprochen.
Keine zwei Kronos-Kreationen waren gleich. Jede erhielt ihre eigenen, scharf umrissenen
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