Wyler, Leana
fähig gewesen wäre. Sie konnte nur nicken.
Selbstzufrieden grinsend lehnte sich die Alte wieder in ihrem rollenden Stuhl zurück. „Ich war ihm stets eine gute Beraterin. Er ist zu weich, ich musste das ausgleichen. Sonst wäre hier alles falsch gelaufen. Eadric neigt leider dazu, Menschen zu begnadigen. Gut, dass ich meist eingreifen konnte.”
Langsam fand Susannah ihre Worte wieder. „Ihr habt also auch in der Vergangenheit die Todesurteile ausgesprochen?”
„Anders geht es nicht, sonst versteht es das einfache Volk nicht. Und die Soldaten, sie brauchen eine harte Hand. Wenn sie sehen, dass die Köpfe ihrer Kameraden aufgespießt werden bei Misserfolg, strengen sie sich deutlich besser an. Das sollte doch selbst für jemanden wie dich verständlich sein, oder nicht?”
Susannah wusste nicht, was sie sagen sollte. In ihrem Kopf herrschte ein einziger Wirbelsturm. Sollte das wirklich heißen, dass Eadric gar nicht für alle Gräueltaten verantwortlich war? Und – das wurde ihr nun erst bewusst – dass er sie gar nicht angelogen hatte, was Robin Hood betraf? Sie richtete sich etwas auf.
„Ist er denn nicht verärgert gewesen, wenn Ihr seine Anordnungen umgangen habt?”, fragte Susannah die Lady, immer noch vollkommen durcheinander.
„Verärgert? Getobt hat er! Er wird mich auch heute erst einmal verfluchen. Aber dem Zauber einer Hinrichtung kann er sich genauso wenig entziehen wie das Volk, welches sich daran labt. Und spätestens, wenn ihm die Menge gut gelaunt zujubelt, wird sich sein Zorn auf mich gelegt haben. Er wird sich demütigst bei mir entschuldigen und wir ziehen gemeinsam zum Hof.”
Sie strich sich den Rock glatt und setzte ein huldvolles Gesicht auf, als würde sie bereits im nächsten Augenblick prunkvollen Einzug halten.
Susannah musterte die Alte. Sich an einer Hinrichtung laben? Ja, das passte zu der Frau, von der Eadric ihr berichtet hatte. Die alle Grausamkeiten liebte. Sie war fürwahr nicht ganz richtig im Kopf!
Aber sie hatte die Intrigen schlau eingefädelt, um zu ihrem Ziel zu gelangen. Denn eine geplante und überall angekündigte Hinrichtung wieder abzusagen, wäre wirklich eine Schande und würde Eadric bei Sir John sicher nicht gut dastehen lassen. Wie sollte er erklären, dass er Robin nicht als blutigen Schädel anbrachte, sondern sich in letzter Minute umentschieden hatte? Damit machte man sich als künftiger Berater des Königs sicherlich keinen guten Ruf.
Susannah strich sich mit fahrigen Händen die Haare aus der Stirn.
Er hatte also sein Wort halten wollen. Deshalb war da auch dieses völlige Unverständnis in seinem Gesicht gewesen, als sie ihn einen Lügner genannt hatte. Und sie hatte ihm als Rache an den Kopf geworfen, dass sie ihn nicht liebte. Und es nie getan habe.
Matt ließ sie sich zurücksinken an die feuchte Wand in ihrem Rücken. Es war also nicht nur Wut gewesen über ihre Anschuldigung oder den groben Ton.
Sie dachte zurück an seine Miene, an den verletzten Ausdruck in seinen Augen. Eadric war völlig außer sich gewesen – weil sie ihn über alle Maßen enttäuscht hatte. Weil er ihr Gefühle entgegenbracht, Geschenke gemacht, sie mit seinen Zärtlichkeiten überhäuft hatte – und sie ihm gesagt hatte, nie irgendetwas für ihn empfunden zu haben.
Wie konnte sie dies nur richtigstellen?
„Sieh doch mal nach, wie weit sie sind”, verlangte die Lady und rollte mit ihrem Stuhl näher an das Fenster heran, das für sie unerreichbar war. „Allzu lange wirst auch du nicht mehr warten müssen, bis du baumelst.”
Sie stimmte ein hysterisches Gelächter an, voll Vorfreude auf das anstehende Ereignis.
Susannah lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Sie schaffte es kaum aufzustehen, aber irgendwie gelang es ihr dann doch, den Mauervorsprung zu erklimmen und aus dem Fenster zu sehen.
Die ersten Schaulustigen kamen tatsächlich schon durch das Burgtor gewandert. Ein Wagen schaukelte langsam heran, gezogen von einem widerwillig dahintrottenden Esel. Darauf saß eine alte Frau in bunten Gewändern.
„Das ist die alte Lilibeth”, entfuhr es Susannah. Sie kannte die rührige Frau aus dem Nachbardorf, die sich mit ihren Näharbeiten Geld verdiente.
„Jaja”, erwiderte Lady Nottingham, „die ist immer da und bietet ihre Tücher und seltsamen Kleider feil. Da kommen sicher noch mehr Händler aus den Dörfern. Die nutzen ein derartiges Spektakel natürlich als Markttag für ihre Waren. Du siehst, ich habe recht, die einfache Bevölkerung
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