Xeelee 1: Das Floss
begannen, zusammen hoch in den sternenerleuchteten Himmel zu hüpfen. Zuerst führten sie einfache Figuren vor – langsame, graziöse Saltos und Drehungen – schön anzusehen, aber nicht besonders spektakulär.
Dann berührten die Füße der beiden gleichzeitig das Trampolin, sie sprangen hoch, trafen sich im Scheitelpunkt ihrer Flugbahnen und drehten sich in weiten Kreisen umeinander, ohne sich zu berühren.
Baert schnappte nach Luft. »Wie haben sie denn das gemacht?«
»Schwerkraft«, wisperte Rees. »Nur für eine Sekunde haben sie sich um ihren gemeinsamen Schwerpunkt gedreht.«
Der Tanz ging weiter. Die Partner drehten sich umeinander und beschrieben mit ihren geschmeidigen Körpern ausgefeilte Parabeln; Rees sah mit halb geschlossenen Augen hingerissen zu. Der Physiker in ihm analysierte die perfekten Bewegungen der Tänzer. Die irgendwo im Hüftbereich gelegenen Schwerpunkte folgten den variierenden Schwerefeldern des Floßes, der Bühne und des jeweils anderen Tänzers in hyperbolischen Flugbahnen, so daß jedesmal, wenn sich die Tänzer vom Trampolin abstießen, ihre Bahnen eigentlich schon mehr oder weniger definiert waren. Aber die Tänzer verfälschten diese Pfade mit den Bewegungen ihrer schlanken Körper derart geschickt, daß es aussah, als ob die beiden nach Belieben durch die Luft flogen, unbeeinflußt von der Schwerkraft. Wie paradox, dachte Rees, daß in diesem Universum mit einer Gravitation von einer Milliarde Gravos Menschen sich so frei bewegen konnten.
Nun formierten sich die Tänzer zu einer letzten, eleganten Kurve, wobei ihre Körper sich drehten und ihre Gesichter wie in Konjunktion stehende Planeten aufeinander wiesen. Dann war es vorbei; die Tänzer standen Hand in Hand auf dem Trampolin, und Rees applaudierte und trampelte wie alle anderen. Man konnte mit einer Schwerkraft von einer Milliarde Gravos also noch mehr anstellen, als sie nur zu messen und sich unter ihr zu behaupten.
Ein Blitz, eine leichte Druckwelle, ein plötzlicher Rauchschleier. Das von unten in die Luft gejagte Trampolin verwandelte sich sogleich in ein flatterndes, vogelähnliches Wesen, wurde selbst zum Tänzer; die menschlichen Tänzer wirbelten schreiend durch die Luft. Dann versank das Trampolin in den zersplitterten Trümmern der Bühne, und die Tänzer hinterher.
Das schockierte Publikum wurde still. Das einzige Geräusch war ein leises, sporadisches Weinen, das aus den Trümmern der Bühne kam, und Rees traute seinen Augen nicht, als er sah, wie rotbraune Flecken die Überreste des Trampolins überzogen.
Ein stämmiger Mann mit orangefarbenen Schulterstücken betrat den Saal und baute sich in Kommandopose vor dem Publikum auf. »Hinsetzen!« befahl er. »Niemand verläßt den Raum!« Er behielt diese Positur bei, während die Zuschauer schweigend seine Anweisungen befolgten. Rees blickte sich um und ortete an den Eingängen des Theaters weitere orangefarbene Schulterstücke, und im Hintergrund noch mehr, die sich durch die Ruinen der Bühne vorkämpften.
Baerts Gesicht war blaß. »Sicherheitsdienst«, flüsterte er. »Dem Captain direkt unterstellt. Man sieht sie hier zwar nicht allzu oft, aber sie sind immer präsent… ob in Zivil oder uniformiert.« Er setzte sich zurück und verschränkte die Arme. »Was für ein Chaos. Sie werden uns alle verhören, bevor sie uns hier rauslassen; es wird Stunden dauern.«
»Baert, ich verstehe überhaupt nichts mehr. Was ist denn geschehen?«
Baert zuckte die Achseln. »Dreimal darfst du raten. Eine Bombe natürlich.«
Rees war genauso verwirrt wie bei dem Mädchen mit den Getränken. »Hat das jemand mit Absicht getan?«
Baert sah ihn nur düster an und antwortete nicht.
»Warum?«
»Keine Ahnung. Ich kann die Aktionen dieser Leute nicht billigen.« Baert kratzte sich an der Nase. »Aber es hat schon einige solcher Anschläge gegeben, meistens auf Offiziere oder auf Orte, an denen sie sich oft aufhalten. Wie dieser hier.«
»Siehst du, mein Freund, nicht jeder ist glücklich hier«, fuhr er fort. »Sehr viele Leute glauben, daß die Offiziere mehr bekommen, als sie verdienen.«
»Und deshalb tun Leute Dinge wie das hier?« Rees wandte sich ab. Die schlanken Körper der Schwerkrafttänzer wurden in die rotbefleckte Plane des Trampolins eingewickelt; Rees konnte einfach nicht glauben, daß sich dies alles wirklich vor seinen Augen abspielte. Er erinnerte sich an den Groll gegen Baert, der eine knappe Stunde vor dem Attentat in ihm aufgestiegen war.
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