Xeelee 1: Das Floss
gedreht, um mit den Augen näher an eine Konsole mit Sensoren zu kommen. Seine Hose verrutschte kontinuierlich in Richtung der schwerelosen Zone, so daß seine nackten, kurzen Beine darunter hervorschauten.
Sie standen auf einem niedrigen Absatz; Rees machte einen Schritt nach unten und schwebte alsbald in der Luft, wobei seine Füße ein paar Zentimeter von dem gläsernen Fußboden entfernt waren. Nead hampelte nervös herum. »Komm, es ist ganz einfach«, sagte Rees. »Du brauchst nur in der Luft zu schwimmen oder auf und ab zu hüpfen, bis deine Füße das Deck berühren.«
Nead trat von dem Absatz herunter, taumelte vorwärts und richtete sich langsam auf. Er erinnerte Rees an ein Kind, das zum erstenmal ein Schwimmbecken betrat. Nach einigen Sekunden breitete sich ein Lächeln auf dem Gesicht des jungen Mannes aus; und bald segelte er durch den Raum, wobei seine Füße das Panoramafenster unter ihm berührten.
Rees machte mit ihm einen Rundgang zwischen den Maschinen hindurch.
Nead schüttelte den Kopf. »Wahnsinn.«
Rees lächelte. »Diese Geräte gehören zu den am besten erhaltenen Teilen der Ausrüstung des Schiffes. Sie sehen so aus, als wären sie erst in der letzten Schicht entladen worden… Wir nennen das hier das Observatorium. Alle Hochleistungssensoren sind hier aufgestellt, und hier wirst du – als Mitglied meines aus Astronomen bestehenden Teams – den größten Teil deiner Zeit verbringen.« Sie hielten vor einem drei Meter langen, mit Linsen überzogenen Rohr inne. Rees fuhr mit einer Handfläche an der glitzernden Seite des Instruments entlang. »Dieses Baby ist mein Lieblingskind«, sagte er. »Ist es nicht schön? Es ist ein Teleskop, das auf allen Wellenlängen arbeitet, einschließlich des normaloptischen Spektrums. Mit ihm können wir direkt ins Herz des Nebels schauen.«
Nead dachte darüber nach und blickte dann zur Decke. »Besteht für uns überhaupt die Notwendigkeit dazu?«
Rees nickte anerkennend. Das war eine gute Frage. »Ja. Es besteht die Möglichkeit, das Dach durchsichtig zu machen – wir können sogar den Fußboden lichtundurchlässig machen, wenn wir wollen.« Er schaute auf die faustgroße Status-Anzeige des Instruments. »Wir haben Glück; zur Zeit werden keine Beobachtungen durchgeführt, so daß wir einen kurzen Streifzug durch den Nebel machen können. Das meiste, was ich dir jetzt erzählen werde, wirst du ohnehin schon aus dem Studium kennen, und um die Details brauchst du dich jetzt noch nicht zu kümmern…« Langsam gab er auf einem Tastenfeld, das sich unterhalb des Sensors befand, eine Reihe von Befehlen ein. Er bemerkte, daß der Junge ihn neugierig beobachtete. Vielleicht hat er auf diesem Floß mit seinen Hunderten von Versorgungsmaschinen noch niemanden gesehen, der mit einer Tastatur so schlecht umgehen kann, dachte Rees…
Er war selbst darüber erschrocken, noch Überbleibsel der alten Ressentiments in sich zu entdecken. Aber das machte jetzt auch nichts…
Eine Sektion der Decke wurde durchsichtig und gab den Blick auf einen roten Himmel frei. Rees zeigte auf einen Monitor, der auf einem dünnen Ständer dicht am Teleskop montiert war. Der Bildschirm füllte sich übergangslos mit Dunkelheit, die von den verschwommenen Umrissen der Linsen durchsetzt war. Die Linsen wiesen das ganze Farbenspektrum auf, von Rot über Gelb bis hin zu kristallklarem Blau. Wieder schnappte Nead nach Luft.
»Rufen wir uns einige Tatsachen in Erinnerung«, begann Rees. »Wie du weißt, leben wir in einem Sternennebel, einer ellipsenförmigen Gaswolke mit einer Längsachse von fünftausend Meilen. Jeder Partikel des Nebels kreist um den Kern. Auch das Floß dreht sich, da es auf dem Nebel sitzt wie eine Fliege auf einer sich drehenden Scheibe; eine Umdrehung um den Kern dauert ungefähr zwölf Schichten. Das Bergwerk auf dem Gürtel befindet sich weiter im Inneren des Nebels und benötigt ungefähr neun Schichten für einen Umlauf. Wenn die Piloten zwischen Bergwerk und Floß hin- und herfliegen, wechseln sie im Grunde genommen die Umlaufbahn…! Zum Glück sind die Differenzen zwischen den Umlaufgeschwindigkeiten hier draußen so gering, daß die Geschwindigkeit, die die Bäume erreichen können, völlig ausreicht, um problemlos von einer Umlaufbahn auf die andere zu wechseln. Natürlich müssen die Piloten ihre Route sorgfältig planen, um sicherzugehen, daß das Bergwerk auf dem Gürtel nicht in Opposition zum Floß steht, wenn sie den richtigen Orbit erreicht
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