Xeelee 1: Das Floss
ist. Was ist mit Cipse passiert?«
»Mit wem?«
»Der Nav… Der Wissenschaftler. Der, der krank war.«
James Gesicht war ausdruckslos. »Einer von ihnen ist unten gestorben. Das Herz hätte versagt, habe ich gehört. Ein fetter alter Kerl. Meinst du den?«
Rees seufzte. »Ja, Jame. Den meine ich.«
Jame musterte ihn. Dann nahm er eine Flasche von seinem Hüftgürtel, entkorkte sie und trank einen kräftigen Schluck.
»Jame, warum bin ich nicht auch tot?«
»Solltest du eigentlich auch sein. Roch glaubte, dich getötet zu haben und hat deswegen nicht noch mal zugeschlagen. Er hatte dich aufgehoben und zu dem verdammten Quartiermeister gebracht – kannst du dir das vorstellen? – und dann hast du angefangen, leise zu stöhnen und dich zu bewegen. Roch wollte dich endgültig plattmachen, aber ich habe ihm gesagt >Nicht in meiner Bar, das läßt du bleiben.<… Und dann tauchte Sheen auf.«
So etwas wie Hoffnung keimte in Rees auf. »Sheen?«
»Sie wußte, daß ich mit dieser Fähre abfliegen sollte; ich vermute deshalb, daß sie dadurch auf die Idee kam, dich vom Gürtel wegzuschaffen.« Jame sah an Rees vorbei. »Sheen ist eine anständige Frau. Vielleicht war das für sie die einzige Möglichkeit, dich zu retten. Aber ich kann dir sagen, Roch war froh genug, dich hier auszusetzen. Ein langsamer, qualvoller Tod: das war es wohl, was er dir zugedacht hatte…«
»Was? Wohin bringst du mich?« Rees, verwirrt, bestürmte Jame mit weiteren Fragen, doch der Barkeeper verfiel in Schweigen und widmete seine ganze Aufmerksamkeit der Flasche.
Unter James Leitung steuerte das kleine Flugobjekt in den Nebel hinein. Die Atmosphäre wurde wärmer, dichter und schwerer zu atmen; sie fühlten sich wie in einem überhitzten, ungelüfteten Raum. Der Nebel färbte sich dunkel, und das gefilterte Licht der Sterne projizierte leuchtende Kreisflächen in die Dunkelheit. Rees verbrachte lange Stunden an der Kante der Platte und starrte in den Abgrund unter sich. In der Dunkelheit im Zentrum des Nebels, so stellte Rees sich vor, würde er bis zum Kern sehen können, wie damals im Observatorium.
Rees hatte jedes Zeitgefühl verloren. Er schätzte, daß mehrere Schichten vergangen waren, als Jame unvermittelt sagte: »Du darfst uns nicht verurteilen, weißt du.«
Rees sah auf. »Was?«
Jame setzte die halbvolle Flasche an. Er fläzte sich auf der Platte und hatte durch das Trinken schon einen verhangenen Blick. »Wir müssen alle überleben, stimmt’s? Und als der Nachschub vom Floß ausblieb, gab es nur eine Möglichkeit, an Nahrungsmittel zu gelangen…« Mit lautem Geräusch setzte er seine Flasche auf der Platte ab und sah Rees starr in die Augen. »Ich war dagegen, glaub mir. Ich habe gesagt, daß wir lieber verhungern sollten, als mit solchen Leuten Geschäfte zu machen. Doch es war eine Gruppenentscheidung. Und ich akzeptiere sie.« Er zeigte mit einem Finger auf Rees. »Wir alle haben das zu vertreten, und ich nehme meinen Teil der Verantwortung auf mich.«
Rees schaute verblüfft drein, und Jame schien wieder etwas nüchterner zu werden. Dann spiegelte sich Überraschung, ja schiere Verwunderung im Gesicht des Barkeepers. »Du weißt überhaupt nicht, wovon ich rede, stimmt’s?«
»Jame, ich habe nicht die geringste Ahnung. Niemand hat uns Verbannten auch nur das geringste gesagt…«
Jame lachte verkniffen und kratzte sich am Kopf. Dann sondierte er den Himmel und konzentrierte sich auf einige der helleren Sterne, anhand derer er offenkundig die Position der Platte bestimmte. »Du wirst es noch früh genug erfahren. Wir sind fast da. Sieh mal, Rees. Unter uns, irgendwo zu meiner Rechten…«
Rees legte sich auf den Bauch und schaute unter die Platte. Zunächst konnte er in der von Jame angegebenen Richtung nichts erkennen. Doch dann machte er mit zusammengekniffenen Augen einen kleinen, dunklen Materiefleck aus.
Die Stunden zogen sich dahin. Jame regulierte sorgfältig den Schub der Düsen. Der Fleck wuchs zu einer Kugel mit der Farbe getrockneten Blutes an, auf der Rees bald überall Menschen herumstehen oder -krabbeln sah, als ob sie dort festgeklebt gewesen wären. Gemessen an ihrer Größe mußte die Kugel einen Durchmesser von vielleicht dreißig Metern haben.
Jame kam zu ihm herüber. »Da wären wir. Jetzt paß mal auf, Junge. Woran du immer denken solltest, wenn du hier länger als eine halbe Schicht überleben willst, ist, daß das Menschen sind wie du und ich…«
Sie näherten sich der
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