Xeelee 1: Das Floss
immer an der zerklüfteten Wand der Maschine festhielt. Er war dunkelhaarig, groß und wirkte ziemlich ruhig. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke, dann trug ihn die langsame Rotation der Maschine aus Rees’ Blickfeld.
Die Maschine wurde immer größer, bis sie in Reichweite zu sein schien.
Dann drehte sie quälend langsam ab. Der große Brocken raste ein paar Dutzend Meter am innersten Punkt des Gürtels vorbei. Bei der Annäherung an den Kern des Sterns krümmte sich die Flugbahn scharf, und die noch immer taumelnde Maschine wurde in den Weltraum hinausgeschleudert.
Ihr menschlicher Passagier klebte immer noch wie eine Fliege an ihrer Flanke, als die Maschine langsam Kurs nach unten auf den Kern nahm und in der Unendlichkeit verschwand.
Über Rees begannen sich die verstreuten Bäume neu zu formieren. Mit lauten Rufen wurden Seile zu den noch in der Atmosphäre treibenden Arbeitern hinuntergelassen.
Als die Angst vor einem spektakulären Tod sich verflüchtigte, begann sich bei Rees der Schmerz über den Verlust der Maschine fast körperlich bemerkbar zu machen. Jetzt war ein weiteres Bruchstück des Erbes der Menschheit durch Dummheit und Inkompetenz verlorengegangen… Und mit jedem weiteren verlorenen Stück wurden die Aussichten für das Überleben der kommenden Generationen merklich schlechter…
Dann erinnerte er sich, was Pallis ihm über Deckers Berechnungen erzählt hatte. Der aus dem Hintergrund operierende, designierte Revolutionsführer hatte eine mysteriöse Bemerkung gemacht, wonach er trotz der geplanten Schenkung einer Versorgungsmaschine nicht befürchtete, die wirtschaftliche Dominanz über den Gürtel zu verlieren. Konnte es sein, daß dieser Vorfall vorsätzlich herbeigeführt worden war? Waren Menschenleben vernichtet, eine unersetzliche Maschine abgeschrieben worden, nur eines kurzfristigen politischen Vorteils wegen?
Rees fühlte sich, als ob er über einem Abgrund hängen würde, als ob auch er zu den Unglücklichen gehören würde, die durch die Katastrophe verlorengegangen waren; doch dieser Abgrund war nicht das Weltall, sondern die unglaubliche Kurzsichtigkeit und Schlechtigkeit der Menschen.
Beim Beginn der nächsten Schicht war Cipse zu schwach, um verlegt werden zu können. Deshalb vereinbarte Rees mit Grye und den anderen, daß er sich im Gürtel erholen konnte. Als Rees die Oberfläche des Sternenkerns erreicht hatte, machte er Roch Meldung. Er blieb dabei sachlich und sprach in respektvollem und entschuldigendem Ton. Roch blickte düster drein, wobei sich seine buschigen Augenbrauen aufwölbten, aber er sagte nichts, und so machte sich Rees auf den Weg in die Tiefen des Sterns.
Nach der Hälfte der Schicht begab er sich wieder an die Oberfläche, um Pause zu machen – und stieß dort auf Cipse. Der Navigator war in eine schmutzige Decke gehüllt und griff angestrengt nach der Steuerung seines Rollstuhls.
Rees nahm Kurs auf Cipse, wobei sich sein Weg über die kleinen Bodenerhebungen auf dem Stern beschwerlich gestaltete. Er streckte eine Hand aus und legte sie so sanft wie möglich auf den Arm des Wissenschaftlers. »Was, zum Teufel, ist los, Cipse? Du bist doch krank, verdammt, und sollst im Gürtel bleiben.«
Cipse sah Rees in die Augen und lächelte; seine Gesichtsfarbe war ein blutleeres Weiß. »Ich befürchte, daß ich kaum eine Wahl habe, mein junger Freund.«
»Roch…«
»Ja.« Cipse schloß die Augen und fummelte weiter an den Kontrollen seines Rollstuhls herum.
»Hast du irgendwelche Einwände dagegen, Floßscheiße?« Rees drehte seinen Stuhl herum. Da stand Roch, dessen Schandmaul sich zu einem Grinsen verzog.
Rees Verstand suchte einen Weg aus dieser Situation – einen Weg, auf diesen Mann einzuwirken und seinen Gefährten zu retten – doch seine Rationalität wurde von einer Woge des Zorns hinweggespült.
»Roch, du hirnloser Bastard«, zischte er. »Du bringst uns um. Und dabei bist du noch nicht einmal so schuldig wie die da oben, die dich dazu ermächtigt haben.«
Roch setzte einen erstaunten Gesichtsausdruck auf. »Bist du etwa nicht zufrieden, Floßscheiße? Gut, ich sag’ dir was…« Er wuchtete sich auf die Füße. Mit rot anlaufendem Gesicht und die massiven Fäuste geballt, grinste er Rees an. »Warum änderst du das nicht? Komm schon. Komm raus aus deinem Stuhl und trag es mit mir aus, gleich jetzt. Und wenn du mich schlagen kannst, darfst du deinen kleinen Freund wieder mit raufnehmen.«
Rees schloß die Augen. Oh, bei den
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