Xeelee 2: Das Geflecht der Unendlichkeit
eine Bürde trotz seiner AS-Verjüngung. Er versuchte, wie er es schon zuvor versucht hatte, die Konsequenzen des monströsen Vorhabens des Qax zu extrapolieren. Sicher war es seine Pflicht, als der letzte Mensch, den Schmerz dieses Verbrechens zu fühlen und stellvertretend für seine Rasse zu leiden.
Aber er konnte nicht. Es war unerreichbar für ihn. Außerdem, so überlegte er sich, hatte er schon jede Hoffnung verloren.
Dann fragte er sich aber, wie er sich fühlen würde, wenn er Kinder hätte.
Er nickte unendlich müde. »So. Da hast du mich also hierher gebracht, damit du mich beobachten kannst, wie ich den Untergang meiner Rasse beobachte. Bisher hatte ich es nicht begriffen; ich glaube, ich hoffte auf – was? Großmut von Seiten der Mörder meiner Rasse. Aber damit hatte ich völlig falsch gelegen. Meine Reaktion, die Trauer eines einzigen Menschen, verstärkt für dich noch die emotionale Bedeutung des Vorgangs. Es verschafft dir zusätzlichen Lustgewinn. Richtig?«
»Lustgewinn? Ich bin kein Psychopath, Jasoft Parz«, dementierte das Qax. »Aber meine Rache wird sehr süß sein.«
»Rache wofür?«
»Für die Zerstörung meiner Heimatwelt, der Welt der Qax, durch die Handlungen eines einzigen Menschen.«
Parz kannte die Geschichte schon zum Teil.
Ein paar Jahrhunderte nach Parz’ Zeit würde ein unbedeutender Mensch namens Jim Bolder existieren. Die Qax würden versuchen, Bolder anzuwerben und ihn zu ihrem Vorteil einzusetzen. Doch Bolder würde sie aufs Kreuz legen – sie irgendwie dazu veranlassen, einen Sternenhammer auf ihre eigene Sonne zu richten.
Der neue Gouverneur kam aus einer Zukunft, in der die relativ milde Besatzung der Erde zwangsläufig zur Zerstörung der Heimatwelt der Qax geführt hatte und damit zu einer Diaspora, in der Dutzende der empfindlichen Qax zugrunde gegangen waren. In dieser Version der Zukunft spielten die Qax nur noch eine Statistenrolle; die von der Besatzung befreiten Menschen waren hingegen viel stärker geworden.
Das alles wollten die Qax korrigieren.
Ironischerweise, so hatte Parz erfahren, bestand auf dieser Zeitachse kein Zusammenhang zwischen der Rebellion der Freunde von Wigner und dem letztendlichen Zusammenbruch der Besatzung. Was auch immer die Rebellen geplant hatten, die Qax hatten es als irrelevant betrachtet – vielmehr profitierten die Qax noch von den durch die Rebellion initiierten Zeitbrücken, weil sie mit ihrer Hilfe in die Vergangenheit reisen konnten, noch weit hinter Bolder zurück, und so in der Lage waren, ihre frühere Nachlässigkeit zu korrigieren.
Parz, verwirrt und bestürzt von dieser Philosophie, fragte sich, ob durch diese Reisen in die Vergangenheit eine Zeitweiche mit vielen Parallelwelten entstehen konnte, also geschlossene Zeitschleifen. In der originalen Variante, auf der Haupt-Zeitachse, wirkten sich weder die Aktivitäten der Rebellen noch die der Qax auf die Kausalität aus; die Entwicklung würde mit unerbittlicher Logik zur Auslöschung der Qax führen. Jetzt hofften die Qax indessen, in die Vergangenheit zurückzukehren und die Menschheit vernichten zu können, bevor sich diese Zeitachse herausbilden konnte; in dieser zweiten Variante würden sich die Qax ohne die Konkurrenz durch die Menschen zur dominierenden Spezies entwickeln. Die Rebellen hofften ihrerseits wahrscheinlich, eine dritte Variante zu implementieren, in der die Besatzung noch vor der Ära des Jim Bolder beendet wurde – von dem die Rebellen natürlich nichts wissen konnten; sie mußten die Besatzung für unbezwingbar und ewig während gehalten haben.
Aber selbst damit war noch nicht Schluß, erkannte Parz; denn die Aktivitäten der verschiedenen Zeitreisegruppen konnten durch ihre Wechselwirkungen noch eine vierte, fünfte oder gar sechste Variante eröffnen… Doch die meisten Philosophen der Menschheit waren sich mittlerweile einig, daß letztlich nur eine dieser Varianten als ›real‹ betrachtet werden konnte; nur eine konnte sich aufgrund der Beobachtung geschulter Kapazitäten in den Zustand der Aktualität verdichten.
Parz drückte das Gesicht gegen das warme Material der Linse; es gab wie dünner Gummi nach. Die stahlblauen Flanken des Interface-Portals hatten den Spline jetzt schon fast wie in einem Zangengriff; die am nächsten stehende Pyramidenflanke, von der die Sterne und die Jupitermonde fast ausgeblendet wurden, war dunkel und leer, wobei ihre Schwärze nur durch einen Anflug von herbstlichem Gold unterbrochen wurde. Parz
Weitere Kostenlose Bücher