Xeelee 2: Das Geflecht der Unendlichkeit
ein.
Vorsichtig tastete Poole sein Gesicht ab. Blut an Nase und Ohren. Und durch die plötzliche Bewegung machte er einen Satz in der Luft; seine schwebenden Beine baumelten und stießen zusammen, wodurch wieder der Schmerz durch die malträtierten Schienbeine und Füße pulsierte. Er schrie leise auf.
Harrys Gesicht materialisierte dicht vor seinem. »Du lebst«, bemerkte Harry. »Du bist wach, genauer gesagt.«
Pooles Stimmbänder brachten nur ein häßliches Kratzen hervor. »Großartiges Timing, Harry. Warum bist du nicht etwas näher herangekommen?«
Harry zog die Augenbrauen leicht hoch. »Was tut das jetzt noch zur Sache«, erwiderte er.
»Laß mich schlafen.« Michael schloß die Augen.
»Tut mir leid. Wir legen in einer Minute an der Crab an. Dann müssen wir hier raus. Wir greifen ein lebendes Sechzehnhundert-Meter-Kampfschiff aus der Zukunft an. Oder hast du den Plan schon vergessen?«
Michael stöhnte auf und schloß die Augen noch fester.
Berg traf mit Händen, Füßen und Knien zuerst auf der harten Oberfläche auf. Der Werkstoff war glatt, glatter als Eis und ließ ihre Hände fast schockgefrieren. Sie zog Hände und Füße unter sich weg. Dann drehte sie den Kopf so, daß Brust und Schenkel relativ sanft auf der Oberfläche aufkamen.
Breitbeinig und flach lag sie auf der Kuppel. Sie verharrte einige Minuten in dieser Position, wobei sie die Luft zwischen den Zähnen ausstieß und die Brust flach auf dem kalten Xeelee-Material auflag.
Sie hatte schon schlechtere Landungen durchgeführt.
Das Licht veränderte sich. Sie hob den Kopf. Wieder zog der Spline über den gekrümmten Horizont der Kuppel hinweg, ein unheilvoller Mond aus Fleisch, überzogen von Augen und Geschützpforten.
11
HARRYS STIMME KLANG BELEGT. »Michael. Der Spline greift das Erd-Schiff an.«
Michael Poole, dem die in der Crab herrschende Gravitation von zwei Ge schwer auf der Brust lastete, lag auf einer Couch. Das schummrige Licht der Lebenskuppel der Crab hüllte ihn in einer tröstlich vertrauten Weise ein.
Über ihm, direkt in Flugrichtung der Crab, hing der Spline, den sie sich als Jagdbeute auserkoren hatten, wie ein verzerrtes Gesicht und wurde zusehends größer. Andere Schiffe umkreisten den Spline in einem langsamen, komplexen Tanz. Es war fast ein Vergnügen, die scheinbar friedliche, stille Szenerie zu beobachten.
Poole spürte Müdigkeit, und seine Kapazität, sich auf Neues einzustellen, war erschöpft. Wie er hier so herumlag, erinnerte ihn das irgendwie an die schöne Zeit, als er allein die Oort-Wolke durchstreift hatte.
Das Mädchen Shira, dessen zerbrechliche Gestalt von der Last der zwei Ge niedergedrückt wurde, saß auf einer Couch neben der von Poole und weinte leise. Poole wandte sich ihr zögernd zu. Ihr Gesicht war eingefallen. Unter Augen und Nase stand Feuchtigkeit, und die Wangen waren rot gefleckt; ihre Augen waren wie rote Wunden. Harrys körperloser Kopf schwebte einige Meter über ihnen ohne jede Regung im Schatten.
»Verdammt«, meinte Poole. »Harry, ich will eine Abbildung des Erd-Schiffes.«
Eine Sektion der Kuppel wurde lichtundurchlässig und blendete den Spline und seine hilflosen menschlichen Satelliten aus; sie wurde mit einem verschwommenen lachsrosa Hintergrund, einem auf dem Kopf stehenden grasgrünen Brocken und einer Kugel mit einer Hülle aus Fleisch ausgefüllt. Das kleine tassenförmige Erd-Schiff hing wie ein absurdes winziges Anhängsel unter dem Bauch des angreifenden Kriegsschiffes; seine mit Gras bestandene Oberfläche war abgewandt, und die aus Xeelee-Werkstoff bestehende Kuppel war wie in einer Demutsgeste nach oben auf den Spline gerichtet. Kirschrote Flammen schlugen aus dem Spline und ließen das Licht von Jupiter verblassen. Das Erd-Schiff erzitterte sichtlich.
»Sternenhammer«, sagte Shira schwer atmend und mit großen Augen. »Der Spline setzt den Sternenhammer ein.«
»Was hatten Sie denn erwartet?« fragte Poole ruppig. »Kann der Xeelee-Werkstoff den Sternenhammer-Strahlen widerstehen?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht für eine Weile. Das Erd-Schiff ist kein Kriegsschiff, Michael.«
Poole runzelte die Stirn. In der vergrößerten und aufbereiteten Darstellung der Kuppel wirkten die Stückpforten der Singularitätenkanonen eindeutig wie Breschen in der Panzerung des Schiffes. Wahrscheinlich beeinträchtigte der Kausalitätenstreß noch immer die Kampfkraft und Zielgenauigkeit des Spline. Doch wenn es dem Spline gelingen sollte, seine Strahlen
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