Xeelee 2: Das Geflecht der Unendlichkeit
Projekt.
»Arschlöcher«, kommentierte Berg. Dann rannte sie los.
Sie ignorierte die durch die dünne Luft schmerzende Lunge, den durchdringenden Gestank nach Verbranntem, den zerrenden Wind und die vibrierende Kuppel, während sie überlegte, was sie tun würde, wenn sie bei der Mündung der Kanone angekommen war. Die Rohre hatten ein Kaliber von etwa einem Meter, und sie würde die ungefähr zwanzig Meter bis zur inneren Grundfläche der Kuppel fallend zurücklegen müssen; die ersten paar Meter konnte sie vielleicht rutschen und dann mit Händen und Füßen abbremsen…
Dem Licht der Hölle gleich war sie von den Feuerstößen der Sternenhämmer umgeben. Ohne sich der vorher zurechtgelegten Pläne noch bewußt zu sein, nahm sie die Arme vor den Kopf und tauchte kopfüber in das Kanonenrohr.
Obwohl die Geschütze des Spline jetzt ausgefahren sein mußten, obwohl das Kriegsschiff aus der Zukunft auf die Bewohner dieser Zeit wie eine den Himmel ausfüllende, massive und bedrohliche Wand aus Fleisch wirken mußte, löste sich aus der kleinen Flotte der solaren Schiffe nur ein einzelner Walzenraumer und nahm in einer Zwei-Ge-Kurve Kurs auf den Spline.
Jasoft Parz konnte es kaum glauben.
Das Schiff war ungefähr anderthalb Kilometer lang. Seine Triebwerksflammen schlugen aus einem Block aus Kometeneis; dieser Block war an einen langen, zerbrechlich wirkenden Metallausleger mit offenem Profil angeflanscht, der von einer durchsichtigen Wohnkuppel gekrönt wurde. Die Kuppel glühte in gedämpftem Licht; Jasoft konnte sich fast bildlich vorstellen, wie Menschen darin herumliefen, richtige Menschen.
Jasoft identifizierte das Schiff anhand der Katalogisierung, die er für den toten Gouverneur vorgenommen hatte. Es war ein von der Phasenenergie zerlegter Superkräfte angetriebenes GUT-Schiff. Es sah so zerbrechlich aus.
Eine unbestimmte Regung durchfuhr Jasoft, verloren und isoliert, wie er in dem grotesken Augapfel des Spline war.
Es mußte doch eine Möglichkeit geben, wie er helfen konnte.
Er schob sich von der Linse weg. Mit kurzen, kräftigen Stößen schwamm er durch die entoptische Flüssigkeit der Augenhöhle und suchte nach einer Möglichkeit, seinen Spline-Gastgeber zu beschädigen.
Berg ratterte das semi-transparente Kanonenrohr hinunter.
Das Rohr schien sie vor dem gleißenden roten Licht der Sternenhammer-Attacke zu schützen, aber seine Innenwandung war glatt und hart; weder mit Händen noch mit Füßen konnte sie irgendeinen Halt daran finden. Also trat sie gegen die Wand, wann immer sie mit ihr kollidierte und warf sich so hart es ging dagegen: sie versuchte alles, um etwas Reibung zu erzeugen. Wie sie wußte, befand sich der Geschützverschluß sechs Meter über dem Kristallboden der inneren Kammer. Berg versuchte, eine solche Körperhaltung in dem Rohr einzunehmen, daß sie mit dem Hintern zuerst aufkommen und so Kopf und Arme schützen würde…
Dann stürzte sie aus der Kanone.
Die Ebene der Singularitäten, diamantene Punkte in einem Gitter aus blauweißem Licht, raste auf sie zu und knallte in ihr Kreuz.
Für lange Sekunden lag sie breitbeinig da und starrte zu der Kuppel aus Xeelee-Werkstoff hoch. Kirschrotes Licht glühte in entfernten Geschützmündungen.
Vorsichtig bewegte sie die Beine und wedelte mit den Fingern. Es durchlief sie zwar eine Woge des Schmerzes, aber wenigstens schien nichts gebrochen zu sein. Lunge, Rücken und Brust fühlten sich wie eine einzige gequetschte Masse an; sie konnte kaum die Lungen füllen und ordentlich Luft holen.
Es war angenehm, hier zu liegen, dachte sie, einfach hier zu liegen und das Feuerwerk zu beobachten…
Wieder zuckte Sternenhammerlicht über die Kuppel hinweg – nein, realisierte sie geschockt; diesmal schien es durch die Kuppel – und sie sah, wie der Xeelee-Werkstoff Blasen warf und wie schmelzender Kunststoff brodelte.
Sie entschied sich dafür, erst später ohnmächtig zu werden.
Sie rollte sich auf die Seite und kam unter Schmerzen auf die Füße, wobei sie die lähmende Starre und die Schmerzen in Beinen und Brust ignorierte.
Das hohle Zentrum des Erd-Schiffes verwandelte sich in einen Bienenkorb. Freunde wuselten mit Ausrüstungsgegenständen umher, bearbeiteten Schaltkonsolen und riefen sich gegenseitig Instruktionen zu. Aber es herrschten weder Chaos noch Panik, wie Berg sah. Die Freunde wußten genau, was sie taten. Die Szenerie vermittelte irgendwie den Eindruck einer großen Installation – eines Kraftwerks vielleicht
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