Xeelee 2: Das Geflecht der Unendlichkeit
ich wünschte, ich hätte Zeit dafür.« Sie schaute auf die Konsole vor sich und wollte die Hand zum Sensor-Bildschirm führen – aber die Menüsteuerung war nicht mehr dieselbe. Lichtbalken huschten über den Monitor; das verdammte Ding veränderte sich vor ihren Augen. »Jaar, was ist da los?«
Mit mäßigem Interesse schaute er kurz hin. »Kompensation für die verlorenen Singularitäten«, meinte er dann. »Die Massenverteilung wird sich solange ändern, bis sich die aus ihrem Verbund gerissenen Singularitäten in einer neuen Konfiguration stabilisiert haben.«
»Gut.« Sie beobachtete die sich verschiebenden Farbblöcke und versuchte, die gesamte Bildschirmdarstellung als Einheit zu begreifen. Allmählich erkannte sie, daß sich dieses neue Muster der Matrix annäherte, die sie zuvor schon gesehen hatte, und zögernd führte sie die Hände zum Bildschirm…
Dann begann das Verschieben, die scheinbar zufällige Konfiguration von neuem.
Sie ließ die Hände sinken. »Verdammt«, meinte sie. »Das ist nur die Quittung dafür, daß ich dachte, es wäre so einfach.« Sie ergriff Jaars Arm; er sah mit ausdruckslosem Gesicht auf sie herab. »Hör zu, Jaar, du mußt aus deinem Schneckenhaus herauskommen und mir dabei helfen. Ich komme allein nicht damit zurecht.«
»Dir wobei helfen?«
»Eine Singularität abzufeuern.«
Er schüttelte den Kopf. Sie war sich nicht sicher, aber es kam Berg so vor, daß er ihr wegen ihrer Ignoranz fast ein geduldiges Lächeln schenkte. »Aber das hat doch keinen Zweck. Ich habe schon gesagt, daß wir ohne die verlorenen dreißig Prozent das Projekt nicht beenden können…«
»Zum Teufel mit dir«, schrie sie gegen den stärker werdenden Wind an, »ich will diese Dinger doch gar nicht in den Jupiter schießen! Hör zu. Ich will, daß du mir bei der Abwehr des Spline hilfst…«
Er schüttelte den Kopf, erkennbar verwirrt und ängstlich, und versuchte, sich von ihr zu lösen.
»Was ist mit euch Leuten nur los? Ich weiß, daß euch dieses verdammte Projekt mehr wert war als euer eigenes Leben, aber diese verdammte Sache ist doch jetzt gestorben!. Warum willst du mir nicht dabei helfen, am Leben zu bleiben?«
Er starrte sie an, als ob sie eine ihm nicht mehr geläufige Sprache sprechen würde.
Ein Stöhnen ertönte, wie der Schrei eines großen Tieres. Sie sah nach oben und zuckte zusammen; auf einer Fläche von mehreren hundert Quadratmetern war die Kuppel jetzt weißglühend, und große Abschnitte schälten sich ab, so daß der Blick auf die Sterne frei wurde. Xeelee-Werkstoff hing wie Fetzen verbrannter Haut herab.
Sie realisierte, daß ihr vielleicht nur noch Sekunden blieben, bis die Steuersysteme ganz ausfielen – oder die Energiezufuhr versiegte und sie dann mit ein paar tausend außer Kontrolle geratenen, häuserblockgroßen Schwarzen Löchern Billard spielen konnte – oder das verdammte Dach endgültig einstürzte…
Und sie war dabei, diese Sekunden zu verschwenden, indem sie die Hand dieses Burschen hielt.
»Jaar«, schrie sie, »euer Projekt existiert nicht mehr. Die einzige Art, wie es funktionieren könnte, in der Zukunft, setzt voraus, daß ihr noch einmal von vorne anfangt. Indem ihr neue Singularitäten konstruiert und ein neues Erd-Schiff baut. Aber die Optionen sind begrenzt. Wir können nicht fliehen, weil die Xeelee-Kuppel und mit ihr der Hyperantrieb zerstört ist. Deswegen können wir nur noch kämpfen. Wir müssen den Spline vernichten, bevor er uns vernichtet.«
Wie schon die ganze Zeit, starrte er sie nur mit leeren Augen und offenem Mund an.
In ihrer Frustration rammte sie ihm die Faust gegen den Arm. »Es geht um das Projekt, Jaar. Das Projekt. Du mußt am Leben bleiben und eine Möglichkeit finden, einen neuen Anfang zu machen. Das siehst du doch ein, oder? Jaar?«
Unter der Einwirkung des flackernden Sternenhammer-Lichts implodierten weitere Segmente der Kuppel in taumelnde Fragmente.
Jasoft Parz wurde in seiner Augenhöhle herumgeschleudert wie eine Erbse in einer Tasse. Bruchstücke seiner aufgebrochenen Survival-Ausrüstung kreisten wie eine lächerliche Metall-Gebärmutter um das Ende seiner Nabelschnur. Doch die Wände der Kammer waren fleischig und elastisch; und außerdem wurde er noch zusätzlich durch die entoptische Flüssigkeit abgefedert.
Es war fast spaßig.
Die Überlebenskiste war ein deprimierender Anblick. Bei der Suche nach einer Möglichkeit, sein kleines Freudenfeuer zu entzünden, hatte er so viele Komponenten
Weitere Kostenlose Bücher