Xeelee 2: Das Geflecht der Unendlichkeit
erstaunlichen, rätselhaften Mädchen fünfzehn Jahrhunderte aus der Zukunft offensichtlich nicht auffiel. »Wenn sie uns nicht sagen wollen, was sie vorhaben, können wir es vielleicht selbst herausfinden. Wir wissen, daß die Pointe des Projektes in der Implosion des Jupiter besteht, dem induzierten Gravitationskollaps durch die Implantation von Singularitäten-Setzlingen.«
»Ja«, bestätigte Parz. »Aber die Sache ist nicht ganz so einfach. Wir wissen bereits, daß der präzise Ablauf dieses Kollapses – die Parameter der resultierenden Singularität – unabdingbar für den Erfolg des Projektes ist. Und genau das ist es, was sie mit ihren Singularitäten-Granaten zu bewerkstelligen hofften.«
Harry runzelte verdrießlich die Stirn. »Und was wollen Sie damit sagen? Eine Singularität ist doch wie die andere. Oder? Ich meine, ein Schwarzes Loch ist eben immer schwarz.«
Michael schüttelte den Kopf. »Harry, eine Menge Informationen geht verloren und wird vernichtet, wenn ein Schwarzes Loch aus einem kollabierenden Objekt entsteht. Ein sich formierendes Schwarzes Loch bewirkt eine Verwerfung im Universum. Aber jedes Loch läßt sich noch über drei differenzierte Quantitäten definieren: Masse, elektrische Ladung und Spin.«
Ein nicht rotierendes, elektrisch neutrales Loch, sagte Michael, hätte einen sphärischen Ereignishorizont – die Schwarzschild-Lösung zu Einsteins alten, nach wie vor gültigen Gleichungen zur Allgemeinen Relativitätstheorie. Aber ein rotierendes, geladenes Objekt ließ ein Kerr-Newman-Loch zurück: eine allgemeinere Lösung der Gleichungen ohne einen sphärischen Horizont.
Parz schlug elegante, schwerelose Purzelbäume; er sah aus wie ein kleines, schlankes Tier. »Kerr-Newman postuliert, daß durch eine Veränderung von Masse, Ladung und Spin Ereignishorizonte konstruiert werden können.«
Harry lächelte bedächtig. »Man kann also ein Loch nach Gusto gestalten. Aber meine Frage steht noch immer im Raum: was soll das?«
»Man könnte sogar noch weiter gehen«, sagte Parz und vollführte einen weiteren seiner trägen Saltos. »Man könnte eine nackte Singularität konstruieren.«
»Eine nackte Singularität?«
Michael seufzte. »In Ordnung, Harry. Erinnere dich noch mal an die Entstehung eines Schwarzen Loches: die Implosion eines massiven Objekts, die Formation eines Ereignishorizontes.
Aber innerhalb des Ereignishorizontes ist die Sache noch nicht zu Ende. Die Materie des toten Sterns implodiert weiter; nichts – nicht der Hitzedruck des Kerns, nicht einmal das Pauli-Ausschluß-Prinzip -kann sie vom vollständigen Kollaps bewahren.«
Harry runzelte die Stirn. »Und was steht am Ende?«
»Eine Singularität. Eine Verwerfung in der Raumzeit; ein Ort, an dem die Raumzeit-Quantitäten – Massen-/Energiedichte, Raumkrümmung – ihre Dimensionen verlieren und gegen unendlich gehen. Im Innern eines wohlerzogenen Schwarzen Lochs wird die Singularität durch den Ereignishorizont sicher vom übrigen Universum abgeschirmt. Der Horizont schützt uns vor dem Schaden, den die Singularität anrichten kann. Aber es gibt Wege für Singularitäten, sich auch außerhalb eines isolierenden Ereignishorizontes zu formieren – ›nackt‹ zu sein. Wenn ein Stern vor seinem Kollaps beispielsweise schnell genug rotiert… Oder wenn die Massenverteilung von vornherein nicht kompakt genug ist – wenn sie in die Länge gezogen oder strahlenförmig ist.
Die Singularität einer solchen Lösung wäre dann kein Punkt, wie sie sich im Zentrum eines sphärisch symmetrischen, nicht rotierenden Sterns herausbildet. Statt dessen würde die Materie des Sterns zu einer dünnen Scheibe kollabieren – wie ein Pfannkuchen – und die Singularität würde sich im Innern dieses Pfannkuchens und entlang eines Strahls durch seine Achse konfigurieren – eine Spindel aus verzerrter Raumzeit.
Die nackte Singularität wäre vielleicht instabil – sie würde schnell innerhalb eines Ereignishorizontes kollabieren – aber sie würde dennoch lange genug existieren, um eine Menge Schaden anzurichten…«
Harry runzelte die Stirn. »Mir gefällt nicht, was ich da höre. Welchen Schaden?«
Poole verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Wie soll ich dir das erklären? Harry, das alles hängt von den Grenzbedingungen ab…«
Die Raumzeit konnte sich nur auf eine regelmäßige und vorherbestimmbare Art entwickeln, wenn ihre Grenzen in Raum und Zeit selbst klar definiert waren. Die Grenzen mußten dem
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