Xeelee 3: Ring
erkaltet ist.«
»Es ist eben nicht mehr ganz so wie in deinen alten Zeiten«, kommentierte Seilspinnerin süffisant. Sie hatte Bilder vom Stapellauf der Northern gesehen – die extravaganten Parties, die ihm vorausgegangen waren, die Flottille von Intrasystem-Raumern, die das große GUT-Schiff beim Verlassen des Systems eskortiert hatte.
Louise grunzte. »Yeah, stimmt. Ich schätze, daß diese Zeiten wirklich vorbei sind. Heute ist eher Improvisation und Navigation nach Pi-mal-Daumen angesagt, Seilspinnerin.«
Ja, dachte Seilspinnerin ärgerlich, aber das Problem ist, daß es sich um meinen Daumen handelt.
»Wie dem auch sei«, meinte Louise, »gemäß Marks Berechnungen sind wir technisch bereit. Wir haben die Flugkoordinaten in dein Steuerungssystem überspielt… jetzt können wir nur noch hoffen, daß es auch funktioniert.«
»Richtig. Soll ich vielleicht einen Countdown laufen lassen?« fragte Seilspinnerin säuerlich. »Du könntest es auf die Decks übertragen; wäre sicher lustig. Zehn - Neun …«
»Komm schon, Seilspinnerin. Red keinen Quatsch. Es ist Zeit, es zu tun. Und, Seilspinnerin…«
Seilspinnerin starrte ins Sonnenlicht. »Ja?«
»…sei bereit.«
Seilspinnerins Ärger wuchs. Sie wußte, was das bedeutete. Wenn irgend etwas bei diesem ersten Langstrecken-Hyperflug böse schiefgehen sollte – so schlimm, daß es nicht von den endlosen virtuellen Simulationen prognostiziert worden war und daher auch nicht von der Automatik behoben werden konnte –, dann würde es auf sie ankommen, Seilspinnerin, und ihren berühmten Daumen. Und deshalb war sie überhaupt noch hier, in diesem verdammten offenen Käfig:
Weil Louise und Mark nicht dazu imstande gewesen waren, dieses menschliche Element wegzurationalisieren.
Sie wußte, daß von ihren Reaktionen und ihrem schnellen Denkvermögen nicht nur ihr eigenes Leben, das ihrer Freunde und die Sicherheit des Waldes abhingen – sondern auch die Zukunft der Spezies.
Ich hätte lieber weiter Seile spinnen sollen, überlegte sie düster.
Sie griff nach der Steuerung des Hyperantriebs. Sie merkte, daß sie auf die Hand und den Arm starrte und wurde sich der enormen Tragweite ihrer bevorstehenden Handlung bewußt. Das Licht der sterbenden Sonne durchdrang den Käfig mit blutrotem Leuchten; lustige goldene Lichtreflexe glitzerten auf dem Material des Handschuhs.
Plötzlich wurde sie von einer tiefen Melancholie ergriffen. Sie unterdrückte einen Aufschrei; die Stimmung war so intensiv, daß sie fast davon überwältigt wurde…
Und diese emotionale Flut drang von außen auf sie ein. Sie realisierte, daß sie von ihrem Begleiter stammte; von ihrem stummen, unsichtbaren Begleiter, hier im Käfig…
Louise klang angespannt, sie schien es kaum noch aushalten zu können. »Seilspinnerin? Wir warten.«
Seilspinnerin überflog den leeren Himmel des Sonnensystems: Die Ruine der Sonne, die glitzernde Akkretionsscheibe von Jupiter. Trotz der entstellenden Verwüstung war es eine seltsame Vorstellung, daß sie der letzte Mensch sein sollte, der diese vor Schmerzen widerhallende Kathedrale aus Raum und Zeit sah. »Louise – es wird nie wieder jemand hierher zurückkommen, nicht wahr?«
»Ins Solsystem? Nein«, erwiderte Louise energisch.
»Es ist nicht richtig«, sagte sie langsam.
»Was ist nicht richtig?«
»Daß wir einfach so verschwinden. Louise, wir sind die letzten Menschen. Sollten wir dann nicht…«
Louise lachte. »Was? Ein Schild an Callisto nageln? Eine Rede halten? Der letzte macht das Licht aus?«
»Ich weiß nicht, Louise. Aber…«
»Seilspinnerin.« Es war immer sehr offensichtlich, wenn Louise sich zur Geduld zwang. »Es ist vorbei. Drück einfach auf den verdammten Knopf.«
Seilspinnerin schloß die Hand um das Steuergerät.
Sonnenlicht implodierte.
Seilspinnerin wurde in Dunkelheit geschleudert, in ein Meer aus Schatten, das den Käfig durchflutete. Sie sah an ihrem Schoß hinunter. Die einzige Beleuchtung war ein trübes rotes Glühen – viel schwächer als das der Sonne –, das kaum die Konturen ihres Körpers abzeichnete.
Der Hyperflug erfolgte so übergangslos und gleitend wie die Testflüge. Es war überhaupt kein Bewegungsablauf zu spüren: Nur eine Veränderung der Lichtverhältnisse, als ob es sich lediglich um ein virtuelles Manöver handeln würde.
Sie drehte sich in ihrem Sitz um. Hinter ihr saß die Lebenskuppel noch immer auf den zerbrechlich wirkenden Schultern des Xeelee-Raumschiffes, offensichtlich
Weitere Kostenlose Bücher