Xeelee 3: Ring
auf beiden Seiten der Blattmitte perforiert. Mark hob das Blatt an und sah an der Unterseite eine Reihe weißer, pelziger Kugeln mit einem Durchmesser von etwa fünf Zentimetern: Fledermäuse, die vor dem Regen dieses künstlichen Waldes Schutz suchten.
Hinter ihm kam Bewegung auf; er drehte sich um.
Uvarov war ihm gefolgt und schaute jetzt wohlwollend drein. »Jeden Tag«, intonierte Uvarov, wobei sich sein Gesicht in der Finsternis verbarg, »wird eine künstliche Sonne in ihrem Wagen über den gläsernen Himmel dieser Dschungelwelt ziehen. Und Maschinen werden künstliche Regenwolken erschaffen. Wir leben in einer High-Tech-Umsetzung unserer ältesten Vorstellungen vom Universum. Was sagt uns die Tatsache, daß wir dieses Schiff so und nicht anders gebaut haben, über uns selbst?«
Mark antwortete nicht. Er stieß sich von dem Baum ab, und sie begaben sich an den Abstieg, um sich den anderen dicht über dem Waldboden anzuschließen.
Louise klopfte auf einen Baumstamm. Sie lächelte. »Eines der wenigen realen Objekte in dem verdammten Schiff«, bemerkte sie. Sie sah sich um. »Das ist Deck Null. Ich wollte, daß unser Ausflug heute hier endet. Ich bin stolz auf diesen Wald. Er hat auch einen praktischen Nutzen – er wird die Lunge des Schiffes sein, ein wesentlicher Bestandteil unserer Ökologie –, und zudem dient er noch höheren Zwecken; mit ihm an Bord werden wir nie vergessen, wer wir sind und woher wir kommen.«
Sie schaute in der grünen Finsternis von einem zum anderen. »Wir alle sind aus verschiedenen Perspektiven in diesem Projekt involviert. Mich interessiert die technische Herausforderung. Und manche von Ihnen, die mit Suprahet sympathisieren, verfolgen noch ehrgeizigere Ziele. Aber wir vier tragen vor allen anderen die Verantwortung für das Gelingen dieses Projektes. Der Wald steht als ein Symbol für uns alle. Wenn diese Bäume unsere zehn Jahrhunderte überdauern, dann wird es unsere menschliche Fracht sicher auch.«
Serena Milpitas legte den Kopf zurück; Mark tat es ihr nach und schaute durch eine Lücke im Blätterdach zu den entfernten Sternen hoch. Plötzlich verschob sich seine Perspektive – eine Diskontinuität der Vorstellung, die ihm abrupt die wirkliche Natur dieses Spielzeugdschungels vermittelte, mit dem leeren, lichtlosen Raum darüber und den komplexen Räumlichkeiten mit Menschen darunter.
»Aber selbst wenn die Suprahet-Projektionen korrekt sind«, wandte Garry Uvarov ein, »wer weiß, welche Sterne diese Bäume in tausend Jahren bescheinen werden?«
Mark streckte die Hand aus und berührte einen Baumstamm; seine warme, feuchte Massivität hatte etwas Tröstliches für ihn. Hoch über sich hörte er einen schrillen Chor; in den Ästen über seinem Kopf erblickte er eine Schar tanzender Paradiesvögel – mindestens ein Dutzend –, deren ekstatisches goldenes Gefieder sich schimmernd vor der Transpluto-Dunkelheit hinter der Himmelskuppel abhob.
Eintausend Jahre…
Dunkelmaterie konnte einen Stern altern lassen.
Die Photinoballung im Herzen der Sonne reduzierte die Temperatur und verminderte somit den Umsatz der Fusionsreaktion. Louise vertrat die naive Ansicht, daß sich die Lebensdauer der Sonne durch eine Reduzierung des Wasserstoffverbrauchs erhöhte, anstatt sich zu verringern.
Aber so funktionierte das nicht. Durch den Abzug von Wärmeenergie aus dem Kern wurde die Sonne instabiler. Die heikle Balance zwischen Gravitationskollaps und Strahlungsexplosion wurde gestört. Die Sonne würde früher umkippen, sie würde früher als sonst aus der Hauptreihe, der Familie der stabilen Sterne, herausfallen.
Gemäß dem Standardmodell würden Photinos die Lebensdauer der Sonne nur um eine Milliarde Jahre verringern.
Nur?
Eine Milliarde Jahre waren eine lange Zeit – das Universum selbst war gerade erst vor zwanzig Milliarden Jahren aus seiner Urknall-Schale geschlüpft – aber die Sonne hätte noch viele Milliarden Jahre einer stabilen Existenz in der Hauptreihe vor sich…
Gemäß dem Standardmodell. Aber sie wußte ja bereits, daß das Modell falsch war, oder?
Lieserl.
»Hmm?«
Wir haben die Antwort. Glauben wir jedenfalls.
»Sag’s mir.«
Das Standardmodell besagt, daß die Photinowolke sich auf den Fusionskern beschränkt, zehn Prozent des gesamten Sonnendurchmessers. Richtig? Aber nach einer optimalen Auswertung deiner Daten…
»Mach weiter, Kevan.«
… sieht es aber so aus, daß signifikante Photino-Konzentrationen in einem Bereich von dreißig
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