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Xeelee 3: Ring

Xeelee 3: Ring

Titel: Xeelee 3: Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Substanz von menschlichen Physikern entdeckt wurde. Die Milchstraßen-Galaxis war selbst in eine flache Scheibe aus Dunkelmaterie eingebettet, die das Hundertfache der Masse der sichtbaren Komponenten aufwies. Die Sterne der Milchstraße umkreisten nicht ihren Kern, wie sie es bei nicht vorhandener Dunkelmaterie getan hätten; statt dessen drehte sich die Galaxis, als ob sie eine solide Scheibe wäre – die beleuchtete Scheibe verhielt sich dabei wie ein riesiges, in dunklem Glas eingeschlossenes Spielzeug.
    Gemäß dem Standardmodell befand sich ein Knoten kalter, dunkler Materie im Mittelpunkt der Sonne – möglicherweise im Herzen eines jeden Sterns.
    Und so, träumte Lieserl, während sie den verschmelzenden Wasserstoff wie ein Wintermärchen durchdrang, war es vielleicht Dunkelmaterie, die den Tod der Sonne verursachte.

    Die sie einhüllende Isotropie verschwand langsam. Ein Anflug von Farbe erschien – ein Stich ins Pinkfarbene, eine zunehmende Wärme, deren Quelle in den Wolken unter ihr verborgen lag. Zunächst glaubte sie, daß es sich dabei um ein Trugbild ihres Bewußtseins handelte – eine Illusion, die ihr von ihren trüben Sinnen vorgegaukelt wurde. Die Schattierung war glatt und konturenlos, bis auf eine allmähliche Intensivierung vom Zenit ihres Sehfeldes bis zum dunkelroten Nadir unter ihren Füßen. Aber das Phänomen blieb statisch, objektiv real, sogar als sie den Kopf drehte. Es war dort draußen, und es reichte aus, die Welt wieder zu strukturieren – ihr ein definitives Oben und Unten zu verleihen.
    Sie seufzte. Fast bedauerte sie die Wiederkehr der Außenwelt; sie hätte sich sehr schnell daran gewöhnen können, im Nichts zu schweben.
    Lieserl. Kannst du das sehen? Was siehst du?
    »Ich sehe Elefanten, die Basketball spielen.«
    Lieserl…
    »Ich sehe den Temperaturgradienten, richtig?«
    Ja. Es ist schön, dich wiederzuhaben, Mädchen.
    Das sanfte, heimelige Glühen war das Licht der Fusionshölle des Kerns, das von ihren babygleichen virtuellen Sinnen gefiltert wurde.
    Sie wußte, daß es hier Licht gab – oder zumindest gab es Photonen: Gebündelte Gammastrahlung, die aus dem Kern der Sonne entwich, wo sie in Milliarden Fusionsblitzen entstand. Wenn Lieserl dem Pfad eines einzelnen Photons hätte folgen können, hätte sie gesehen, wie es sich auf einem erratischen Zickzackkurs bewegte und von ionisierten Partikeln abprallte, wie in einem subatomaren Flipper-Spiel. Die Schritte auf diesem Zufallskurs – mit Lichtgeschwindigkeit zurückgelegt – bemaßen sich im Mittel auf zwei Zentimeter.
    Der Temperaturgradient in diesem Abschnitt der Sonne war winzig. Aber dennoch war er real und reichte gerade aus, daß einige dieser herumirrenden Photonen Kurs auf die Oberfläche der Sonne nahmen anstatt in ihr Inneres. Aber die Pfade waren lang – das Durchschnittsphoton benötigte 10  21 Schritte, um die äußere Grenze der Strahlungszone zu erreichen. Die Reise dauerte zehn Millionen Jahre – und weil die Photonen sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegten, hatten die Pfade selbst eine Länge von zehn Millionen Lichtjahren, die in sich verdrillt waren wie ein riesig langes, verschlungenes Band.
    Jetzt, wo die anderen ›Sinne‹ wieder einsetzten, konnte sie mehr von ihrer Umgebung erkennen. Druck- und Dichtegradienten wurden als blaue und grüne Kurven abgebildet, deren Intensität in Richtung des Zentrums zunahm und sich eng an das Temperaturdifferential anlehnte. Es hatte den Anschein, als ob sie sich in einem großen, dreidimensionalen Statusdiagramm der Sonne befinden würde.
    Wie aufs Stichwort wurden jetzt die Theoreme des Standardmodells der Theoretischen Physik eingeblendet und legten sich vor ihrem Gesicht als Gitter über die Druck-, Temperatur- und Dichtegradienten. Die Abweichungen vom Standardmodell wurden dabei als glühende Stränge dargestellt.
    Sie registrierte, daß nach wie vor Abweichungen vom Standardmodell auftraten. Die Divergenzen waren überall. Und sie waren noch gravierender als zuvor.

    Dunkelmaterie und baryonische Materie übten eine Gravitationswirkung aufeinander aus. Partikel der Dunkelmaterie konnten über andere Kräfte mit baryonischer Materie in Wechselwirkung treten: Aber nur schwach, und bei einem Dichtemaximum – wie es im Mittelpunkt von Sternen auftrat. Unter terrestrischen Bedingungen durchdrangen sich die Welten der baryonischen und dunklen Materie und glitten aneinander vorbei, ohne sich gegenseitig zu beeinflussen, wie geisterhafte

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