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Xeelee 3: Ring

Xeelee 3: Ring

Titel: Xeelee 3: Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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eine weitere Feige und meinte beiläufig: »Warum nicht?«
    »Weil er ein menschliches Wesen ist, das Würde verdient, wenn schon sonst nichts anderes«, erwiderte er heftig. »Und…«
    »Und was?«
    Und, dachte er, ich habe Angst, daß, wenn wir Uvarov sterben lassen, die Welt untergehen wird.
    Die Welt war so offensichtlich künstlich.
    Der Wald befand sich in einem Behälter. Es war möglich, einen Pfeil gegen den Himmel zu schießen. Es gab Löcher im Boden und ganze Ebenen – die Domäne der Unterleute – unterhalb der Welt. Verborgene Maschinen spendeten der Himmelskuppel jeden Tag Licht, sorgten dafür, daß sich der Regen über die wartenden Blätter ergoß und erzeugten Wind um die Baumwipfel über dem Blätterdach. Vielleicht gab es noch mehr versteckte Maschinen, spekulierte er manchmal, welche die kleine, abgeschlossene Welt auf andere Art und Weise am Leben erhielten.
    In Seilspinnerins Augen mußte die Welt wohl groß sein. In Pfeilmachers Augen jedoch war sie klein und zerbrechlich geworden, und je älter er wurde, desto klarer sah er die Abhängigkeit der Waldmenschen von Maschinen, die uralt und unzugänglich waren.
    Wenn die simplen Mechanismen versagten, würden sie alle sterben; so einfach, und unvergeßlich, war es für Pfeilmacher.
    Garry Uvarov war ein alter Narr im Rollstuhl, ohne ersichtlichen Einfluß auf die Mechanismen, die sie alle am Leben erhielten. Und dennoch schien es unzweifelhaft wahr zu sein, daß er tatsächlich so alt war, wie er behauptete – daß er tausend Jahre alt war, so alt wie das Schiff selbst – daß er sich an die Erde erinnerte.
    Uvarov stellte die Verbindung zu den Tagen der Konstruktion des Schiffes dar. Mit einer tiefen, abergläubischen Furcht spürte Pfeilmacher, daß im Falle von Uvarovs Tod – wenn diese konkrete Verbindung zur Vergangenheit jemals durchtrennt werden sollte – das Schiff selbst vielleicht um sie herum sterben würde.
    Und wie sollten sie dann noch überleben können?
    Betrübt schaute er seine Tochter an und fragte sich, ob er jemals in der Lage wäre, ihr das zu erklären.

9

    LIESERL ERWACHTE – langsam, unruhig – aus ihrem langen Schlaf.
    Sie bewegte sich irritiert; sie schaute sich um, blinzelte mit den virtuellen Augen und versuchte zu ermitteln, wodurch sie gestört worden war. Irgendeine Bewegung?
    Bewegung, in dieser Millionen Grad heißen Suppe?
    Mit vor der Brust verschränkten virtuellen Armen und angezogenen Beinen driftete sie langsam durch das komprimierte Plasma der Strahlungszone. Um sie herum, völlig unsichtbar, vollführten Hochenergie-Photonen ihren komplexen, Jahrmillionen währenden Tanz, während sie sich einen Weg vom Kern zur Oberfläche suchten.
    Nach all dieser Zeit war sie noch immer ein Drittel des Sonnenradius vom Zentrum der Sonne entfernt.
    Sie überprüfte die restlichen Datenspeicher mit kurzen Diagnosechecks. Natürlich stieß sie auf größere Schäden; der Datenschwund hatte sich durch die unablässige Einwirkung der Entropie kumuliert. Sie fragte sich vage, über welchen Grad ihrer ursprünglichen Prozessor- und Speicherkapazität sie jetzt wohl noch verfügte. Zehn Prozent? Oder gar noch weniger?
    Wie würde sie sich fühlen, wenn sie nun ihr volles Bewußtsein aktivierte? Sie hatte, davon abgesehen, noch nie ihre gesamte Kapazität genutzt – die Systeme verfügten über eine immense Redundanz – aber sie würde sicher einen gewissen Schwund feststellen: Gedächtnislücken vielleicht oder eine Degeneration der Sinne ihres virtuellen Körpers – eine Taubheit, eine unvollkommen realisierte Hülle.
    Lieserl, dachte sie, du wirst wieder alt. Der erste Mensch in der Geschichte, der zum zweitenmal altert.
    Ein weiteres erstesmal für die schrullige Lady.
    Sie lächelte und brachte das Gesicht näher an die Beine heran. Früher hatten die Tiefe ihres Bewußtseins und die Fähigkeit zur Speicherung riesiger Datenmengen sie zum intelligentesten Menschen – oder zumindest Quasi-Menschen – der Geschichte gemacht. Hatte man ihr zumindest gesagt.
    Nun, das konnte jetzt nicht mehr zutreffen.
    Natürlich immer nur unter der Voraussetzung, daß es überhaupt noch Menschen gab, mit denen sie sich vergleichen konnte.
    Noch immer strömte Plasma durch die Flächen des Interfaces, das ihre alten, beschädigten Datenbestände beherbergte; irgendwo jenseits der Sonne mußte die durch das kühlende Wurmloch gepumpte Energie noch immer wie ein Miniaturstern lodern und vielleicht einen Schatten auf die

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