Xeelee 3: Ring
war gleich darauf verschwunden.
Er arbeitete sich auf den Feigenbaum zu, wobei er laut schrie und in die Hände klatschte, um die Tiere zu verjagen. Dabei scheuchte er auch eine Traube Fruchtfledermäuse auf, die ganz untypisch am Tage Nahrung aufnahmen; sie stoben bei seiner Annäherung auseinander, wobei ihre großen, schlaffen und ledrigen Flügel raschelten.
Schließlich erreichte er den Ast des Trägerbaums, um den sich die Feigenwurzeln rankten. Er sah, daß es sich hier tatsächlich um eine Schlingpflanze handelte; die Krone des Feigenbaums war so dicht, daß sie das Licht von der Wirtspflanze fernhielt und irgendwann einmal ihren Platz im Blätterdach einnehmen würde.
»Pfeilmacher.«
Plötzlich wurde dicht hinter ihm sein Name geflüstert. Konsterniert wandte er sich um und verlor fast den Halt auf dem algenbedeckten Ast; der Bogen schlug heftig auf seinen nackten Rücken.
Es war Seilspinnerin. Sie grinste ihn mit rundem Gesicht aus der Finsternis an. Seilspinnerin, seine älteste Tochter, war fünfzehn Jahre alt, und ihr kleiner, schlanker Körper war so geschmeidig wie der eines Affen. Sie hatte einen gefüllten Sack auf dem Rücken. Ihr Gesicht war mit glänzender roter Farbe beschmiert und ließ Augen und Nase maskenhaft wirken; ihr Kopf war mit Ausnahme der Schläfen kahlgeschoren, wo das Haar tiefschwarz über die Ohren bis auf die Schultern fiel. Ihre Metallbrille glitzerte in dem grünen Licht.
»Hab’ ich dich«, meinte sie.
Er bemühte sich, die Fassung wiederzuerlangen. »Das war unvernünftig.«
Sie schnaufte und rieb sich die Stupsnase. »Ja, sicher. Ich hab’ gesehen, wie du dich an die arme Affenmutter rangepirscht hast. Noch dazu, wo sie ein Baby hat.« Sie suchte in den Ästen Halt und bewegte sich drohend auf ihn zu. »Vielleicht sollte ich auf deinen Rücken klettern, damit du mal siehst, wie das ist…«
»Laß es lieber bleiben.« Er ließ sich auf dem Ast nieder, pflückte eine Feige ab und biß hinein. »Was ist in dem Beutel?«
»Feigen, Honigwaben und ein paar Würmer, die ich aus dem Boden gegraben habe… Ich habe zum Frühstück Käferlarven aus einem umgestürzten Baum dort unten gegessen.« Für einen Moment wirkte sie entrückt, als sie sich an ihre Mahlzeit erinnerte. »Lecker… Was machst du überhaupt hier? Ich dachte, daß du unten beim alten Uvarov wärst.«
»Bin ich auch. Im Prinzip. Ich bin gerade…«
Die fünfzig Angehörigen des Stammes verbrachten den größten Teil ihres Lebens im Blätterdach. Also hatte Garry Uvarov ein Rotationssystem konzipiert, das immer ein paar Leute dazu abstellte, ihm auf dem Boden Gesellschaft zu leisten. Immer, wenn gegen diesen Turnus verstoßen wurde, echauffierte Uvarov sich und schärfte ihnen ein, daß diese Ordnung älter sei als alle lebenden Menschen, außer ihm selbst.
»Uvarov hat mich nach oben geschickt – auf den Riesenkapok –, um nachzusehen, ob sich die Sterne verändert haben.«
Seilspinnerin grunzte; sie pflückte sich auch eine Feige und steckte sie ganz in den Mund, wie ein Affe. Dann wischte sie sich den Mund mit einem Blatt ab. »Warum?«
»Ich weiß nicht…«
»Dann ist er ein alter Narr. Und du auch.«
Pfeilmacher seufzte. »Du solltest nicht solche Dinge sagen, Seilspinnerin. Uvarov ist ein alter Mann – ein uralter Mann. Er war schon dabei, als das Schiff gestartet ist, und…«
»Ich weiß, ich weiß.« Sie stocherte mit dem kleinen Finger zwischen den Zähnen herum, um Feigensamen zu entfernen. »Aber er ist auch ein verrückter alter Mann und wird immer verrückter.«
Pfeilmacher beschloß, nicht weiter darauf einzugehen. »Aber ob das nun stimmt oder nicht, wir müssen uns trotzdem um ihn kümmern. Wir können ihn nicht einfach sterben lassen. Würdest du das denn wollen?« Er musterte ihr Gesicht und suchte nach Anzeichen von Verständnis. »Und wenn ihr – du und deine Freunde – nicht turnusgemäß unten erscheint…«
»Was wir nicht tun.«
»…dann bedeutet das, daß Leute wie ich mehr als ihren eigentlichen Beitrag leisten müssen.«
Seilspinnerin grinste triumphierend, wobei ihre Gesichtsbemalung glänzte. »Dann gibst du also zu, daß es auch dir widerstrebt, für dieses alte Fossil dort unten sorgen zu müssen.«
»Ja. Nein.« Mit nur wenigen Worten hatte sie ihn ordentlich in Verlegenheit gebracht, wie ihr das so oft und mit solcher Leichtigkeit zu gelingen schien. »Oh, ich weiß nicht, Seilspinnerin. Aber wir können ihn doch nicht sterben lassen.«
Sie biß in
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