Xeelee 4: Flux
Avenue ein. Die Wände – die mindestens hundert Mannhöhen auseinanderstanden – wurden von grün glühenden Lampen und dekorativen Fassaden gesäumt. Toba scherte aus dem Verkehrsstrom aus und zog an den Zügeln. »Das ist Pall Mall«, verkündete er und umarmte Ito. »Ich muß zur Farm zurück. In ein paar Tagen bin ich wieder zurück. Amüsiert euch schön…«
Ito half Dura aus dem Wagen. Unsicher verfolgte Dura, wie das Fahrzeug im Verkehr verschwand.
Die Avenue war der größte umschlossene Platz, den Dura je zu Gesicht bekommen hatte – sicherlich der größte in der ganzen Stadt. Bei der Straße handelte es sich um einen riesigen, vertikalen Tunnel, laut und beleuchtet, der mit Fahrzeugen und Menschen überfüllt war. Die beiden Frauen standen dicht an der Wand; Dura sah, daß die Wand von dekorativen Schaufenstern gesäumt war, hinter denen bunte Kleidung, Taschen, Bürsten, Flaschen und Kalebassen, ziselierte Lampen und andere filigrane Artefakte ausgestellt waren, die Dura nicht einmal zu identifizieren vermochte. Leute – Hunderte von ihnen – schwärmten wie Raubflügler durch den Tunnel und unterhielten sich angeregt, während sie in irgendwelchen Eingängen verschwanden.
»Geschäfte«, erklärte Ito lächelnd. »Keine Bange wegen der Hektik. Das ist ganz normal.«
Alle vier Wände der Avenue waren mit Geschäften gesäumt. Die entgegengesetzte Wand, volle hundert Mannhöhen entfernt, zeichnete sich als bunte Wandmalerei ab, an der eine endlose Prozession von Menschen vorbeizog. In der staubigen Luft war das Bild etwas verwaschen; es wurde von Lampen und Lichtsäulen, die aus runden Schächten fielen, angestrahlt.
Pall Mall war die Hauptverkehrsstraße. Wo Dura zunächst ein Verkehrschaos vermutet hatte, erkannte sie allmählich ein System: es gab mehrere Ströme, die in beiden Richtungen parallel zu den Wänden der Avenue verliefen. Oft geschah es, daß ein Wagen – in einem nach ihren Maßstäben waghalsigen Manöver – die Spur wechselte oder in eine Seitenstraße einbog. Grünliche Schwaden waberten in der Luft, die vom Quieken der Schweine durchdrungen war. Für eine Weile verfolgte Dura noch Tobas Wagen, doch bald hatte sie ihn im Verkehrsgewühl aus den Augen verloren.
Ein intensiver und süßlicher, schier überwältigender Geruch stieg ihr in die Nase. Er erinnerte Dura an den Duft der Handtücher in Itos Badezimmer.
Ito berührte sie am Arm und drehte sie in Richtung der Geschäfte. »Komm, meine Liebe. Die Leute schauen schon zu uns herüber…«
Dura mußte an sich halten, um die Leute, die sich in den Geschäften drängten, nicht anzustarren. Männer und Frauen waren in grellbunte Roben und Overalls gekleidet, die an manchen Stellen nackte Haut zeigten; die Leute trugen Hüte, waren mit Schmuck behängt und hatten das Haar zu bunten Turmfrisuren hochgesteckt.
Ito führte Dura durch ein paar Geschäfte. Sie zeigte ihr Juwelen, Kunstgegenstände, hochwertige Hüte und Kleider; Dura nahm die Sachen in die Hand und bewunderte die exquisite Qualität, war indes nicht in der Lage, Itos Erklärungen bezüglich des Gebrauchs dieser Dinge zu folgen.
Nun schien Ito keine Lust mehr zu haben, den Geschäftsbummel fortzusetzen, und sie kehrten zur Hauptstraße zurück. »Wir gehen jetzt zum Markt«, sagte Ito. »Das wird dir gefallen.«
Sie schlossen sich einem Menschenstrom an, der dem im Stadtzentrum gelegenen Ende von Pall Mall zustrebte. Kaum daß sie sich eingeordnet hatten, erhielt Dura einen Stoß in den Rücken; es fühlte sich weich und rund an, wie eine kleine Faust. Sie wirbelte herum und nestelte am Overall, um an das Messer zu gelangen.
Ein Mann hastete an ihr vorbei. Er war in eine fließende, glitzernde Robe gekleidet. In den weichen weißen Händen hielt er Leinen, an denen zwei fette Ferkel hingen, die ihn auf eine – wie Dura fand – würdelose Art und Weise hinter sich herzerrten, wobei er von ihren Abgaswolken umwabert wurde. Es war eines der Ferkel gewesen, das Dura den Stoß in den Rücken versetzt hatte.
Der Mann beachtete sie kaum.
Ito grinste sie an.
»Was ist denn mit dem los? Kann er nicht schwimmen wie alle anderen auch?«
»Natürlich kann er das. Aber er kann es sich nicht leisten.« Ito schüttelte den Kopf ob Duras Verwirrung. »Komm schon, es würde zu lange dauern, dir das zu erklären.«
Dura sog die Luft ein. Der Geruch war noch intensiver geworden. »Was ist das?«
»Schweinefürze natürlich. Sie sind parfümiert…«
Mit leichten
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