Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Xeelee 5: Vakuum-Diagramme

Xeelee 5: Vakuum-Diagramme

Titel: Xeelee 5: Vakuum-Diagramme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
Vom Netzwerk:
Fünfundvierzig-Grad-Steigung bot ihm keinen Halt, und er bewegte sich langsam und wie in Trance, als ob er sich unter Wasser befände.
    Er hielt sich am Geländer fest und ließ den Blick über den Zuckerwürfel schweifen.
    Unter ihm fiel ein Abhang aus glühendem Glas ab, der von riesigen Schatten durchzogen wurde. Paul wusste, dass die Fläche ein Quadrat mit einer Kantenlänge von zehntausend Kilometern war, und fast hätte er damit gerechnet, von seinem Standort aus die entgegengesetzten Ecken und Kanten zu sehen. Doch nach ein paar hundert Kilometern schnurrte die Oberfläche in seinem Blickfeld zu einer leuchtenden Linie zusammen. Die Zuckerwürfel-Stadt war eine flache blaue Kuppel, die wie ein Vexierbild in der Mitte der Linie hing.
    »Paul«, sagte Green mit sanfter Stimme. »Schauen Sie einmal nach oben.«
    Paul legte den Kopf in den Nacken. Ein Spline-Kampfschiff flog über sie hinweg, keine zehn Meilen von der Kante entfernt. Paul erkannte riesige Mulden in der fleischigen Sphäre und Geschützmündungen, die in tiefen Narben glitzerten. Dann flog das Kriegsschiff über die Kante hinweg und drehte sich majestätisch.
    »Sie wissen, dass wir hier sind«, sagte Green. »Das war eine Begrüßungs-Rolle.«
    Seine Stimme schien aus großer Entfernung an Pauls Ohr zu dringen. Ein Gefühl der Weite überwältigte ihn; es war, als ob er schrumpfte oder das Universum in alle Richtungen sich zurückzog.
    »Paul… Alles in Ordnung mit Ihnen?«
    »Was ist nun wieder mit ihm los? Verdammt, der Junge ist ein Sicherheitsrisiko.«
    »Nur mit der Ruhe, Taft. Dieser Zustand der Beinahe-Ohnmacht leitet manchmal die Phase der Bewusstseinserweiterung ein. Kommen Sie; helfen Sie mir, ihn zur Kante zu bringen.«
    Die Worte trieben inhaltsleer an Paul vorbei. Green und Taft nahmen ihn in die Mitte und fassten ihn an den Armen. Sie waren Figuren aus Holz und Papier, die sich mit einem trockenen Knistern bewegten. Das Licht des Würfels brannte zwischen ihnen.
    Schließlich standen sie in einer Reihe am Rand der Welt. Die Kante war ein schnurgerader Strich, von dem die zwei identischen Flächen im rechten Winkel wegstrebten. Es war, als ob sie auf dem Dachfirst eines riesigen Hauses stünden. Eine zweite Kabine hing an den Kabeln, die man entlang der Kante verlegt hatte. Instandhaltungs-Ausrüstung war in der Nähe der Seilbahn an der Oberfläche befestigt.
    »Ich hoffe nur, dieser Ausflug war nicht umsonst«, sagte Green schnaufend.
    Taft stieß ein bellendes Lachen aus. Es hörte sich an, als ob man trockenes Laub zerknüllte. »Sie wollten, dass ich Sie hierher bringe, und ich habe Sie hergebracht. Offensichtlich ist die Materialbeanspruchung hier höher als im zentralen Bereich der Fläche. Wenn Ihr Wunderknabe einen Zugang sucht, dann ist dieser Ort so gut wie jeder andere. Passen Sie aber bei der Kante auf. Sie ist scharf wie eine Toledoklinge.«
    »Nein«, sagte Paul.
    Green und Taft starrten ihn an und ließen seine Arme los. Nach dem Verlust des körperlichen Kontakts wurden sie noch substanzloser und zogen sich wie Geister aus dem Blickfeld zurück.
    Steif kniete er nieder und fuhr mit einem Finger über die Kante. Die Materie war weich und wellte sich. Es war, als ob er mit der Hand über feines buntes Gras gefahren wäre.
    Worte wie ›scharf‹ hatten natürlich jede Bedeutung verloren; hölzerne Worte, wie sie von Makro-Menschen benutzt wurden.
    Green hatte ihm die Begrifflichkeit vermittelt, die für die Beschreibung der Wahrnehmungen erforderlich war: Dies war die fundamentale Ebene der Realität, der Ursprung quantenmechanischer Wahrscheinlichkeits-Wellenfunktionen.
    Ein Ereignis war wie ein Stein, der in einen Teich geworfen wurde: Wahrscheinlichkeits-Funktionen – Wellen aus ›was-sein-könnte‹ – breiteten sich in Raum und Zeit aus. Makro-Menschen sahen allenfalls fahle Schemen, wo die Wellen sich am höchsten auftürmten.
    Und das war auch schon alles.
    Ihre harten Begriffe wie ›Partikel‹ und ›Wellen‹ und ›hier‹ und ›jetzt‹ spiegelten ihre beschränkte Wahrnehmung wider – holprige Worte zur Beschreibung von Schatten. Er, Paul, der Junge ohne Vergangenheit, überblickte manchmal die ganze Fläche des Teichs – und erkannte sogar Hinweise darauf, was sich in den Tiefen verbarg.
    Er sah, wie Wellenfunktionen von der Kante ausgingen und in prismatische Schemen der Unwahrscheinlichkeit zerfielen. Ihm war, als ob das Bewusstsein wie ein Schwert aus der Scheide gezogen würde. Er schaute an

Weitere Kostenlose Bücher