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Xeelee 5: Vakuum-Diagramme

Xeelee 5: Vakuum-Diagramme

Titel: Xeelee 5: Vakuum-Diagramme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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kletterten sie in die Takelage und schnitten die glimmenden Dochte ab. Die schlaffe Hülle legte sich über die erloschenen Lampen.
    Und Boyd stand Kopf.
    Oder Allel.
    Das Gurtzeug erschlaffte. Die Bestandteile des Ballons drifteten ungerichtet umher. Boyd zappelte in der Luft wie eine Ertrinkende – doch es gab kein Oben, in dessen Richtung sie sich abzustoßen vermocht hätte. Angst zeigte sich unter ihren blassen Narben.
    Doch Allel verstand.
    »Wir sind mitten in der Lücke!«, rief Allel. Was ihrer Mutter Angst einjagte, war für sie eine Offenbarung. »Die Schalen-Bewohner stehen auf dem Kopf. Was für uns ›oben‹ ist, ist für sie ›unten‹. Hatten wir wirklich geglaubt, wir würden immer weiter fliegen und irgendwann gegen die Schale stoßen, wie gegen eine Decke? Wir sind an dem Punkt, wo oben und unten umgekehrt werden.« Ein Schwall warmer Luft schoss aus dem Ballon und strich ihr übers Gesicht. Boden und Schale waren große parallele Platten, die gleichgerichtet um sie wirbelten. Sie lachte und jagte durch die Luft.
    Das Gleichgewicht in der Zone der Schwerelosigkeit war jedoch instabil, und bald griffen unsichtbare Finger nach ihnen. Wind pfiff durch die verhedderte Takelage, und das Gurtzeug straffte sich wieder. »Wir fallen zurück!«, rief Allel enttäuscht.
    »Wir müssen die Brenner wieder anzünden«, schrie Boyd gegen den Wind an.
    Sie suchten Feuersteine und legten die Hände um die Dochte, damit die Flammen nicht wieder ausgeblasen wurden. Hitze wallte auf. Boyd trampelte auf den Brennstoff-Pumpen herum, während Allel vorsichtig in die verdrillte Takelage kletterte, um den Füllansatz der Hülle zu weiten, damit die erwärmte Luft in den Ballon und nicht an ihm vorbei strömte.
    Der Sinkflug verlangsamte sich etwas. Allel schmerzten die Arme, und das Haar wurde von der Heißluft zerzaust. Der Boden kam rasend schnell auf sie zu und enthüllte unwillkommene Details, Flüsse und Hügel, Bäume und Felsen…
    Sie rollte sich auf einer unglaublich harten Erde ab, und Grashalme peitschten ihr ins Gesicht. Das Blut rauschte laut in den Ohren. Der Ballon faltete sich zusammen wie ein verwundetes Lebewesen.
    Mutter und Tochter lagen auf einer sonnenbeschienenen Wiese zwischen den Trümmern ihres Rinden-Raumschiffs.
    * * *
    Sonnenlicht stach ihr in die Augen.
    Blinzelnd setzte Allel sich auf und fummelte an den verknoteten Bändern des Gurtzeugs herum. Sie war von saftigem Gras und Blumen umgeben; ein Bächlein floss zu einem Hain aus Kuh-Bäumen, und der Horizont wurde von Hügeln gesäumt, die mit Heidekraut bewachsen waren.
    Und wie sie es immer schon getan hatte, überwölbte die Schale die ganze Szenerie wie ein Tipi.
    Boyd schlummerte selig in einer Falte des Ballons. Allel zögerte für ein paar Minuten; sie fürchtete sich irgendwie vor der Reaktion ihrer Mutter. Dann nahm sie das Teil eines zerbrochenen Brenners, füllte es mit Wasser aus dem Bach und weckte ihre Mutter. Boyd setzte sich unbeholfen auf und massierte den lädierten Arm.
    »Wir sind abgestürzt«, sagte Allel.
    »Hä?«
    Allel wies auf die Schale über ihnen. »Schau. Wir müssen zurückgefallen sein. Wenn wir die Schale erreicht hätten, würden wir die Welt dort oben sehen – als Gesteinskugel, die von der Schale umhüllt wird. Und das Land würde zum Horizont hin ansteigen…«
    Boyd grunzte. Sie spürte die Niedergeschlagenheit ihrer Tochter und trank wortlos das Wasser. Sie bewegte die Glieder. »Wenigstens sind wir noch ganz«, grummelte sie und ließ den Blick schweifen. Dann grinste sie scheinbar unmotiviert. »Du meinst, wir hätten es nicht geschafft? Oder wie?«
    Sie grub mit der unversehrten Hand im Boden und schüttelte sie vor Alices Gesicht. »Schau dir das an! Schau!«
    Aus dem Klumpen Erde ragte eine leuchtend orangefarbene Blume. Eine Schalen-Blume.
    Allels Gedanken überschlugen sich. »Nun verstehe ich gar nichts mehr…«
    »Wir haben es doch geschafft. Wir sind auf der Schale! Das genügt mir schon.« Dann folgte Boyd dem nach oben gerichteten Blick ihrer Tochter zum Dach der Welt. Ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen.
    »Was wir über uns sehen, ist Heimat, nicht die Schale. Und doch sieht sie aus wie die Schale. Die beiden Welten sind in sich geschlossen, und doch umhüllen sie sich gegenseitig. Egal, auf welcher Welt man sich befindet, man sieht immer das Gleiche – eine Schale.«
    Boyd nickte. »Das verstehe ich gerade noch. Genau wie wir, was? Zwei Hälften eines Ganzen. Kein weicher Kern,

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