Xeelee 5: Vakuum-Diagramme
Tasche fallen. Der Ballon stieg höher. Sie schaute zum komplexen Muster der Schale empor und wartete darauf, dass die Winde sie nach Hause trugen.
* * *
Die Luft im Tipi war mit dem Schweiß- und Schmutzgeruch ihrer Mutter geschwängert. Boyds linke Hand war ein Stumpf aus zerrissenen Blutgefäßen und zerschmetterten Knochen. Lantil hatte die Wunde ausgebrannt und badete sie in Milch und Tränen. Boyd packte Allel so fest am Arm, dass sie einen pulsierenden Schmerz verspürte. »Tochter! Dein verdammter Räuchersack hat funktioniert…«
Allel versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. »Ja. Und nun wirst du mir helfen, eine Maschine zu bauen, mit der ich die Lücke überquere.«
Lantil versetzte Allel einen Knuff gegen die Brust. Seine mit Leberflecken übersäte Hand flatterte wie ein Vogel. »Du solltest dich schämen, ihr ausgerechnet jetzt damit zu kommen. Du siehst doch, dass sie verwundet ist.«
Doch Allel schaute ihre Mutter unverwandt an.
Boyd rang sich ein Grinsen ab. »Du lässt nicht locker, was? Du willst mich unbedingt widerlegen. Na schön. Unter einer Bedingung.«
»Welche?«
»Ich will mitkommen. Hier gibt es für mich nichts mehr zu tun. Vielleicht will ich die Schalen-Leute auch einmal sehen… ah…«
Der Schmerz nahm ihr den Atem. Lantil zog die blutverschmierte Hand seiner Tochter an die Brust.
Allel löste sich aus dem Griff ihrer Mutter und legte sich auf ihre Pritsche, um ihr Unternehmen zu planen. Sie drehte sich mit dem Kopf zur Rindenwand.
* * *
Das ganze Dorf hatte sich am Startplatz versammelt. Die Leute stupsten sich gegenseitig an und zeigten auf die Flächen des Ballons, die sie mit zusammengenäht hatten. Die fünf Jahre, die sie unter Boyds strengem Regiment verlebt hatten, waren vergessen.
Vom Gurtzeug behindert, betätigten Boyd und Allel die blasebalgartigen Brennstoffpumpen. Die große Rindenhülle blähte sich langsam und warf lange Schatten im Licht der tief stehenden Morgensonne. Allel beäugte die Sonne skeptisch. Sie hatten den Flug zeitlich so geplant, dass eine Kollision vermieden wurde – so phantastisch eine solche Aussicht auch war. Aber sie hatte darauf beharrt, dass die Schale hinter der Sonne stehe. Sie wollten zur Schale fliegen. Also bestand die Gefahr einer Kollision mit der Sonne, und das musste durch exakte Navigation verhindert werden.
Das Gurtzeug ruckte zweimal, als ob es zum Leben erwachte – und dann zog es sie mit erstaunlicher Kraft in die Höhe. Der Boden fiel im schiefen Winkel unter ihr weg. Die Leute applaudierten, und Kinder rannten dem Schatten des Ballons hinterher. Boyd stieß einen Jubelschrei aus und winkte den Zuschauern mit dem unversehrten Arm zu. »Wir fliegen, Tochter!«, rief sie.
Die Landschaft entfaltete sich und verschluckte die Dörfler. Im Norden schlängelte der Fluss Atad sich ins Blickfeld, und am Horizont, jenseits der alten Heimat sah Allel die auf dem Vormarsch befindlichen Gletscher.
Sie hatte das Gefühl, in einer großen stillen Kiste zu fliegen. Die Öffnung des Ballons blendete die Oberseite der Schalen-Wolken aus. Sie enterte in die Wanten, um sich um die Brenner zu kümmern, und zog die knubbeligen Dochte aus den mit Harz kalfaterten Alkoholfässern nach. Schweiß rann ihr in die Augen. Trotz Boyds Protest hatte sie darauf bestanden, dass sie beide Steppmäntel trugen; sie hatte den halb erfrorenen eisblauen Vogel, der ihr vor fünf Jahren an einem Sommertag wie diesem auf Hafen’s Hill fast in den Schoß gefallen war, nicht vergessen.
Und wirklich waren keine fünf Minuten vergangen, als die Feuchtigkeit im Nacken sich abkühlte und trocknete. Das Atmen fiel ihr immer schwerer. »Selbst die verdammte Luft hat hier eine Lücke«, knurrte Boyd. »Wenigstens scheuert das Gurtzeug nicht mehr so stark.«
Allel spürte auch die seltsame Leichtigkeit und das Gefühl zu fallen. Doch sie stiegen immer höher in die blaue Stille auf. Bald hatten sie eine Höhe von ein paar Meilen erreicht; Wolken lösten sich auf, als sie sie durchstießen. Die Welt schrumpfte zu einer Schalenartigen Karte und schloss sie aus; oben und unten waren auf einmal symmetrisch geworden, und Allel drehte sich fast der Magen um.
Die Steiggeschwindigkeit verlangsamte sich. Der Wind, der durch die Takelage fuhr, wurde schwächer. Der Ballon schwankte unruhig.
»Was nun?«, fragte Boyd unbehaglich. »Behalte die Brenner im Auge.«
»Ja. Ich frage mich, ob… ah. Die Brenner! Schnell!«
Der Ballon fiel in sich zusammen.
Hastig
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