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Xeelee 5: Vakuum-Diagramme

Xeelee 5: Vakuum-Diagramme

Titel: Xeelee 5: Vakuum-Diagramme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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größer als er. Merklich älter. Abrupt registrierte sie die noch kindlichen Rundungen seines Gesichts, sein unsicheres Auftreten. Der Gedanke, ihn zu berühren – die Erinnerung an ihre fiebrigen Träume in der Nacht – schien jetzt absurd.
    Sie spürte, wie sich die Halsmuskeln anspannten; sie glaubte schreien zu müssen. Matthew schien vor ihr zurückzuweichen, als ob sie ihn durch einen Tunnel sähe.
    Erneut hatten die emsigen Nanobots – die verdammte, endlose nanotechnologische Infektion ihres Körpers – ihr ein Teil ihres Lebens genommen. Sie weitergetrieben ins Erwachsensein.
    Diesmal aber konnte sie es nicht mehr ertragen.

    »Warum? Warum?« Sie wollte ihrer Mutter Beschimpfungen entgegenschreien – sie verletzen.
    Phillida hatte noch nie so alt ausgesehen. Die Haut schien sich straff über die Wangenknochen zu spannen, mit tief eingegrabenen Falten. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Glaube mir. Als wir – George und ich – uns zu diesem Programm meldeten, wussten wir, dass es schmerzlich werden würde. Aber wir hätten uns nie träumen lassen, wie sehr. Keiner von uns hatte vorher schon Kinder gehabt. Sonst hätten wir vielleicht ermessen können, wie du dich jetzt fühlst.«
    »Ich bin ein Freak – ein absurdes Experiment«, schrie Lieserl. »Ein Konstrukt. Warum habt ihr einen Menschen aus mir gemacht? Warum nicht ein gefühlloses Insekt? Warum keinen Virtuellen?«
    »Oh, du musstest schon ein Mensch werden. So menschlich wie möglich…« Phillida schien zu einer Entscheidung gelangt zu sein. »Ich hatte gehofft, dir ein paar Tage mehr – Leben, Normalität – zu geben, bevor es enden musste. Du schienst ja auch etwas Glück zu finden…«
    »Bruchstückhaft«, meinte Lieserl bitter. »Das ist kein Leben, Phillida. Es ist grotesk.«
    »Ich weiß. Es tut mir leid, mein Liebes. Komm mit mir.«
    »Wohin?«
    »Nach draußen. In den Garten. Ich möchte dir etwas zeigen.«
    Misstrauisch und feindselig gestattete Lieserl, dass ihre Mutter sie an der Hand nahm; aber sie ließ die Finger starr und kalt in Phillidas warmem Griff liegen.
    Es war jetzt Vormittag. Das Licht der Sonne überflutete den Garten; Blumen – weiß und gelb – richteten sich gen Himmel.
    Lieserl schaute sich um; der Garten war leer. »Was soll ich mir denn anschauen?«
    Phillida deutete feierlich nach oben.
    Lieserl legte den Kopf in den Nacken und beschirmte die Augen, um das Licht auszublenden. Der Himmel war eine strahlend blaue Kuppel, die nur in großer Höhe von einem Kondensstreifen und den Lichtern der Raumstationen durchbrochen wurde.
    »Nein.« Sanft zog Phillida Lieserls Hand vom Gesicht, legte eine Hand unter ihr Kinn und richtete ihr Gesicht wie eine Blume auf die Sonne.
    Das Licht des Sterns schien ihren Kopf auszufüllen. Geblendet schlug sie die Augen nieder und starrte Phillida durch einen Schleier verschwommener, gestreifter Netzhautabbildungen an.
    »Die Sonne, Lieserl. Die Sonne.«
    Die Sonne. Natürlich…

    Der Capcom sagte, verdammt, Lieserl, du musst vernünftig sein. Die Dinge sind auch so schon kompliziert genug…
    »Ich weiß. Es tut mir leid. Wie geht es dir überhaupt?«
    Mir? Mir geht es gut. Aber das ist auch gar nicht der Punkt, stimmt’s? Jetzt mach schon, Lieserl, das Team hier steigt mir sonst aufs Dach; lass uns die Testreihe durchführen.
    »Du meinst, dass ich überhaupt nicht hier unten bin, um mich zu amüsieren?«
    Der Capcom, in seinem sicheren Habitat weit oberhalb der Photosphäre, antwortete nicht.
    »Genau. Die Tests. Okay, zuerst den elektromagnetischen.«
    Sie stellte ihr Sensorium ein. »Ich werde in die Dunkelheit gestürzt«, stellte sie trocken fest. »Im ganzen Frequenzbereich gibt es fast keine freie Strahlung – höchstens noch schwache Gammastrahlung aus der Photosphäre; es wirkt ein wenig wie der Abendhimmel, kurz bevor die Sonne ganz untergeht. Und…«
    Wir wissen, dass die Systeme funktionieren. Ich muss wissen, was du siehst und was du fühlst.
    »Was ich fühle?«
    Sie breitete die Arme aus und segelte rückwärts durch die ›Luft‹ der Kaverne. Die großen Konvektionszellen kollidierten und verschmolzen wie Lebewesen, Wale in diesem amorphen Meer aus Gas.
    »Ich erkenne Konvektionsquellen«, sagte sie. »Sie füllen eine ganze Höhle aus.«
    Sie rollte sich auf den Bauch, so dass sie mit nach unten gewandtem Gesicht das Plasma-Meer überschaute. Sie öffnete die Augen und wechselte den Wahrnehmungsmodus. Die Konvektionswaben traten in den Hintergrund ihrer

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