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Xenozid

Xenozid

Titel: Xenozid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Card Orson Scott
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indem es darauf hingewiesen hatte – und Qing-jao ironischerweise, indem es sie auf das Elend ihres Körpers aufmerksam machte, von dem Hämmern der Fragen in ihrem Geist befreit.
    Qing-jao begann zu lachen.
    »Lacht Ihr über mich, Heilige?« fragte das Mädchen.
    »Ich danke dir auf meine Art«, sagte Qing-jao. »Du hast eine große Last von meinem Herzen genommen, wenn auch nur einen Augenblick lang.«
    »Ihr lacht über mich, weil ich Euch gesagt habe, Ihr sollt Eure Stirn abwischen, obwohl es gar nicht hilft.«
    »Nein, deshalb lache ich nicht«, sagte Qing-jao. Sie richtete sich erneut auf und sah dem Mädchen in die Augen. »Ich lüge nicht.«
    Das Mädchen wirkte beschämt – aber längst nicht so beschämt, wie es hätte der Fall sein sollen. Wenn die Gottberührten einen Tonfall anschlugen wie Qing-jao gerade, verbeugten sich die anderen augenblicklich und zeigten Respekt. Doch dieses Mädchen hörte nur zu, schätzte Qing-jaos Worte ab und nickte dann.
    Für Qing-jao gab es nur eine Schlußfolgerung. »Sprechen die Götter auch zu dir?« fragte sie.
    Das Mädchen riß die Augen auf. »Zu mir?« fragte es. »Meine Eltern sind beide sehr niedrige Menschen. Mein Vater schaufelt auf den Feldern Dünger, und meine Mutter spült in einem Restaurant.«
    Das war natürlich keine Antwort. Obwohl die Götter am häufigsten die Kinder derer auswählten, zu denen sie sprachen, war es auch schon vorgekommen, daß sie zu einigen gesprochen hatten, deren Eltern die Stimme der Götter nie gehört hatten. Doch im allgemeinen nahm man an, daß die Götter kein Interesse an einem hatten, wenn die Eltern aus einer sehr niedrigen Schicht stammten, und in der Tat geschah es nur selten, daß die Götter zu jenen sprachen, deren Eltern nicht gebildet waren.
    »Wie heißt du?« fragte Qing-jao.
    »Si Wang-mu«, sagte das Mädchen.
    Qing-jao schnappte überrascht nach Luft und hielt dann die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzulachen. Doch Wang-mu wirkte nicht wütend – sie verzog nur das Gesicht und schaute ungeduldig drein.
    »Es tut mir leid«, sagte Qing-jao, als sie wieder sprechen konnte. »Aber das ist der Name der…«
    »Der Königlichen Mutter des Westens«, sagte Wang-mu. »Kann ich etwas dafür, daß meine Eltern diesen Namen für mich ausgesucht haben?«
    »Es ist ein edler Name«, sagte Qing-jao. »Meine Vorfahrin-des-Herzens war eine große Frau, aber sie war nur eine Sterbliche, eine Dichterin. Die deine ist eine der ältesten Göttinnen.«
    »Was nutzt mir das?« fragte Wang-mu. »Es war anmaßend von meinen Eltern, mich nach solch einer ehrwürdigen Göttin zu nennen. Deshalb werden die Götter nie mit mir sprechen.«
    Es machte Qing-jao traurig, Wang-mu mit solcher Verbitterung sprechen zu hören. Hätte sie nur gewußt, wie bereitwillig Qing-jao mit ihr getauscht hätte! Von der Stimme der Götter frei zu sein! Niemals niederknien und die Linien auf dem Holz verfolgen, niemals die Hände waschen zu müssen, außer, sie waren wirklich schmutzig…
    Doch das konnte Qing-jao dem Mädchen nicht erklären. Wie sollte sie es verstehen? Für Wang-mu gehörten die Gottberührten der privilegierten Elite an, waren unendlich klug und unnahbar. Es würde wie eine Lüge klingen, wenn Qing-jao ihr erklärte, daß die Bürden der Gottberührten viel größer waren als die Entlohnungen.
    Doch für Wang-mu war die Gottberührte nicht unnahbar gewesen – sie hatte mit Qing-jao gesprochen. Also entschloß sich Qing-jao, das zu sagen, was sie tief im Herzen empfand. »Si Wang-mu, ich wäre gern für den Rest meines Lebens blind, könnte ich nur von den Stimmen der Götter frei sein.«
    Wang-mu riß entsetzt den Mund und die Augen auf.
    Es war ein Fehler gewesen, so zu sprechen. Qing-jao bedauerte es augenblicklich. »Es war nur ein Scherz«, sagte sie.
    »Nein«, sagte Wang-mu. »Jetzt lügt Ihr. Dann habt Ihr also die Wahrheit gesagt.« Sie kam näher, stampfte achtlos durch den Schlamm und zertrampelte dabei Reispflanzen. »Mein ganzes Leben lang habe ich gesehen, wie die Gottberührten in ihren Sänften zum Tempel getragen werden, wie sie bunte Seide tragen, wie sich alle Menschen vor ihnen verbeugen, wie ihnen alle Computer offenstehen. Wenn sie sprechen, sind ihre Worte Musik. Wer wäre nicht gern so eine?«
    Qing-jao konnte nicht offen antworten, konnte nicht sagen: Die Götter erniedrigen mich jeden Tag, zwingen mich, dumme, bedeutungslose Dinge zu tun, um mich zu reinigen, und am nächsten Tag fängt alles von vorn

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