Xperten 1.2 - Der Mindcaller
auch wenn sie nie mehr mit dem Kapakapa mit Vater Himmel, Mutter Erde, den großen Bergen und den mythischen Ungeheuern in Kontakt treten würde, es gibt sie, und sie würden vor ihrem geistigen Auge bestehen bleiben, in all ihrer Schönheit und Macht. Immer. Und auf diesen Weg versucht sie zu ignorieren, dass sie ganz deutlich spürt, dass die Göttin des Todes, die ‚Frau der Nacht‘, in ihrer Nähe ist.
11. Die Alten von Aotearoa -
Neuseeland
Alle Träume und alles Glück erlöschen in Aroha an dem Tag, als Kevin stirbt. Er war im Begriff gewesen, eine besonders schwierige Felswand zu durchqueren, als er abstürzte.
Vorsichtig der steilen Wand entlang
winzige Vorsprünge nützend
Steigeisen auf dem Felsen
das einzige Geräusch.
Ein zerbrochener Körper
am Fuß der Felswand.
Große friedliche Stille
ein toter Mensch
oder eine befreite Seele?
Aroha fühlt sich in ihrer Trauer gefangen wie in der wilden Brandung eines Sturms an der Westküste. Welle um Welle überwältigt sie, und der Tumult und das Getöse in ihr sind so groß, dass sie kaum ein Wort versteht, das man zu ihr spricht.
Sie verstreuen Kevins Asche unter den Kauri-Bäumen im verborgenen Tal.
Allmählich kämpft sich Aroha zurück ins Leben. Sie wirft sich in die Arbeit, schafft es irgendwie zu unterrichten und zu forschen. Und sie gelobt, ein Häuschen auf der Lichtung Aorama zu bauen, als Erinnerung an Kevin. Es wird ihr bewusst, wie liebevoll ihre Freunde versuchen, sie zu unterstützen. Sie bitten sie, mit ihnen das verborgene Tal zu besuchen, und Aroha stimmt zu, aber es gibt keine Zeichen einer ‚anderen Welt‘. Sie versuchen Aroha dazu zu bringen, sich wieder mit dem Kapakapa zu beschäftigen, aber Aroha hat es abgelegt und will nichts davon wissen. Auch nicht von Mikes Idee es einmal im Physiklabor zu durchleuchten und zu untersuchen, ohne es im Geringsten zu beschädigen.
Aroha bleibt unerbittlich. Sie will nicht über das Kapakapa reden, sie will nicht mit ihm experimentieren, sie will es niemandem zeigen. Sie wiederholt innerlich immer wieder, dass es falsch wäre, ganz falsch.
Ein Jahr vergeht und dann noch eines. Das Häuschen auf Aorama ist fertig, aber sie benutzt es wenig. Mike und Jeannie sind mit ihrem eigenen Leben vollauf beschäftigt.
Kalina hat ein Stipendium für eine post-graduale Ausbildung an einer guten Universität in Nordamerika angenommen. Die Unterhaltungen zwischen Aroha und Kalina werden immer unpersönlicher. Zunächst noch das eine oder andere Telefongespräch, dann immer kürzere Emails. Aroha ist erschrocken und traurig.
Mitten in einer Nacht wacht sie plötzlich auf und es durchzuckt sie mit völliger Klarheit. Sie hat die zwei Menschen verloren, die sie am meisten geliebt hat. Kevin und Kalina.
Wieder fühlt sie sich wie in übermächtigen Wellen einer Brandung aus Trauer und Verzweiflung und sie findet nicht mehr die Kraft, sich zu wehren. Sie gibt die Musik auf, sie zieht sich von allen Aufgaben zurück, soweit wie möglich. Alles ist jetzt sinnlos, ist nur Geräusch, Lärm, Nichtigkeit.
Mike und Jeannie, so beschäftigt sie sind, kümmern sich noch immer um Aroha, doch Aroha weist sie meist zurück. Als Aroha einmal in einem helleren Moment mit einem gewissen Schuldgefühl analysiert, warum sie Jeannie und Mike immer wieder vor den Kopf stößt wird es ihr klar, dass es eigentlich Neid ist. Neid, dass sich die beiden lieben und zueinander stehen und glücklich sind, während die Scherben ihres Glücks unwiderruflich am Boden liegen.
Viel Zeit vergeht, bis Aroha wieder einmal in das verborgene Tal geht. Das Häuschen ist natürlich leer, leerer als leer, wie die äußere Hülle einer sich häutenden Schlange, nutzlos und hässlich. Die Amaretto-Flaschen stehen nicht mehr auf den Regalen, die Gläser mit dem blauen Stil sind leer und verstaubt. Der Geruch von Ratten kommt aus jeder Ritze und jedem Regal. Es ist vollkommen ruhig, sogar die Vögel scheinen zu trauern. Immer wieder taucht dieselbe Frage in Arohas Kopf auf.
»Waren die goldenen Jahre wirklich nur ein Hirngespinst meiner blühenden Fantasie?«
Aroha ist froh, dass sie im verborgenen Tal nichts Ungewöhnliches findet. Zumindest ist die ‚Frau der Nacht‘ 33 nicht in der Nähe, denkt sie. Sie erinnert sich in der ‚Kathedrale‘ an den Tag in der Höhle von Mutter Erde und es fällt ihr auf, dass sie nach dem Tode Kevins die Todesgöttin nie mehr sah. Sie versteht auf einmal, dass das Erscheinen dieser ‚Frau der
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