Xperten 1.2 - Der Mindcaller
dein Glückstag. Was du gefunden hast, ist die Hälfte eines ‚Mindcallers‘. Irgendwo hat oder wird jemand in den nächsten Jahren die zweite Hälfte finden, und ihr werdet, so erzählen es die Legenden, zusammenfinden und mit den beiden Teilen Dinge erleben, die man sich kaum vorstellen kann.«
Dann erzählt die Großmutter das, was in abgewandelter und vager Weise über ‚Mindcallers‘ überliefert ist.
»Herbert, du wirst ab jetzt diesen ‚Mindcaller‘ immer mit einer Kette um den Hals tragen, als dein Amulett. Niemand darf erfahren, was es wirklich ist; aber keine Angst, es gibt zu jedem Zeitpunkt nur zwölf Altehrwürdige, die diese Geschichte kennen, die eine Ahnung von der Bedeutung der Schnitzerei haben, und wenn diese je sehen, dass du eine hast, werden sie dir helfen, aber dich nie verraten. Eines Tages, heute, morgen oder in ein paar Jahren, wird der ‚Mindcaller‘ auf einmal aktiv werden. Ab dann liegt alles bei dir.«
Herbert liebt die Maori Märchen und Legenden, und als mehr empfindet er das, was er gerade gehört hat, auch nicht. Aber er trägt ab nun den ‚Mindcaller‘. Als Jahre vergehen, ohne dass etwas geschieht, wird die Schnitzerei immer mehr ein Andenken an die Großmutter, die seinen fünfzehnten Geburtstag nicht mehr erlebt.
Herbert hat sich von seinem Unfall weitgehend erholt. Er arbeitet in den Maori-Souvenirläden mit, er ist stundenweise in einem Foodcourt in Rotorua tätig, um ein bisschen Geld zu erwirtschaften, und er belegt eine Reihe von Fernkursen, von denen nur seine Mutter weiß. Er will nicht immer als Verkäufer und als von Touristen bestauntes Exemplar in Whakarewarewa bleiben. Er saugt Wissen auf wie ein Schwamm. Immer ein bisschen Einzelgänger, wird seine Eigenbrötlerei gutmütig geduldet.
Manchmal hat er Angst vor den überschäumenden Emotionen seiner pubertierenden Alterskollegen. Als er einmal mit einer Gruppe in einem der großen, nur für Maoris zugänglichen Tümpel badet 40 und man einige Dosen Bier getrunken hat, bricht plötzlich grundlos ein Streit zwischen zwei mächtigen, jungen Maoris aus (wohl um die Mädchen zu beeindrucken). Plötzlich zückt einer der beiden ein großes Messer, hebt es und versucht mit Wucht auf den anderen einzustechen.
Herbert sieht es mit Entsetzen, ‚das darf nicht geschehen‘, betet er. Zu seiner Verwunderung verlangsamt sich der Stoß mit dem Messer zu einer sanften Bewegung, der der Gegner leicht ausweichen kann. Der Stimmungsumschwung ist vollständig. Die beiden Kämpfer heben grüßend die Hand, die Feier geht weiter. Erst Jahre später wird Herbert den Vorfall verstehen.
Das Leben von Herbert wäre ungetrübt, wenn seine Mutter, erst knappe 40 Jahre alt, trotz hingebungsvoller Pflege nicht immer mehr verfallen würde. Der 17. Geburtstag von Herbert ist vom schlechten Zustand seiner Mutter überschattet. Wenige Tage später stirbt sie. Und nun, zwei Tage später, sitzt Herbert vor seinem Tümpel und will den Mindcaller, der sich nie bemerkbar gemacht hat, dorthin zurücklegen, wo er ihn vor nun sieben Jahren fand, in die Nische in der verborgenen Höhle, in die man nur aus einem unscheinbaren Becken durch sehr heißes Wasser hinein schwimmen kann.
Langsam beginnt sich Herbert zu entkleiden. Er nimmt den ‚Mindcaller‘ fest in die Hand, um die Kette zu entfernen, an der er ihn immer getragen hat. Da ‚sieht‘ er plötzlich etwas, und er spürt, dass es vom ‚Mindcaller‘ kommt:
Krauses Haar - verträumtes Gesicht - junge Kauribäume - Maori Worte für Liebe - ausgestreckte Arme
‚Was ist das‘, durchfährt es Herbert. Der ‚Mindcaller‘ ist also doch mehr als eine alte Schnitzerei!
Eine Welle von Gefühlen einer neuen Dimension überschwemmt ihn:
Vater pfeifend am Vordersegel im rauen Wind - Mutter, Beeren sammelnd - Altehrwürdige - Kinder lachend in heißem Badesee - Messer, das unendlich langsam hernieder sinkt
Ein Wink des Schicksals, ein Zufall? Jetzt, wo er nach sieben Jahren seinen Mindcaller zurücklegen will, überbringt er plötzlich Botschaften von woher? Nur aus der Vergangenheit?
Herbert legt den Mindcaller nicht zurück, sondern trägt ihn weiter. In den folgenden Wochen, Monaten und Jahren wird der ‚Mindcaller‘ eine große Stütze für ihn, füllt ihn mit vertrauten Gefühlen und Erinnerungen aus der Vergangenheit, verbindet ihn in kaum erklärbarer Weise mit Natur, mit Mythen und Legenden, oder manchmal, so scheint es, mit wahren Berichten aus der Vergangenheit.
Nicht
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