Xperten - Der Anfang: Kurzgeschichten
erziehen haben als vermutlich jene Tätigkeit, die nachfolgende Generationen am meisten beeinflussen wird. Und wie bereiten die Schulen sie darauf vor? Gar nicht! (Aber über die Hallstattkulturen wird wochenlang vorgetragen und geprüft!)
Partnerschaft: Jeder Schüler wird im Laufe seines Lebens eine oder mehrere Partnerschaften eingehen … und fast alle werden in Brüche gehen oder sich nicht so entwickeln, wie sich das die Partner anfangs vorstellen. Das Erhalten einer Partnerschaft ist sicher komplexer als die Konstruktion von Dreiecken aus drei Bestimmungsstücken, das Aufsagen der (veralteten) Zehn Gebote, die Identifikation von Kreuzblütlern usw. Wieso gibt es dann das Schulfach Partnerschaft nicht?
Zusammenfassend glaube ich, dass die Schule zwei Hauptfunktionen hat: Einerseits unser Gehirn zu trainieren (so wie das Turnen unsere Muskeln trainiert) und uns zu helfen unsere Talente zu erkennen; andererseits uns auf die großen Probleme des Lebens vorzubereiten und uns zu helfen, ein schönes (Kunstverständnis!) und erfülltes (erfolgreiche Partnerschaften, Kindererziehung und Mitwirken in unserer Gesellschaft!) Leben zu führen. Da gehört vermutlich auch »Allgemeinbildung« in naturwissenschaftlichen und kulturgeschichtlichen Belangen dazu. Ich behaupte aber, dass von einer nur einigermaßen vernünftigen Ausgewogenheit heute überhaupt nicht die Rede sein kann!
3.7 Mein erster Student
aus Tonga
Im Februar 1993 ging ich temporär an die Universität Auckland. Gleich zu Beginn kam die Bewerbung eines Studenten aus Tonga (einer pazifischen Inselgruppe, drei Flugstunden im Nordosten von Auckland) auf meinen Tisch. Die Unterlagen waren so überzeugend, dass ich den Bewerber zu einem Interview nach Auckland einlud.
Dieses Interview verlief ungewöhnlich. Ich saß an meinem Tisch, als Ala’ufoa hereinkam. Ohne aufgefordert zu werden, setzte er sich sofort auf den Sessel mir gegenüber, murmelte ein paar unverständliche Worte und rutschte dann immer tiefer vom Sessel herunter, bis er regelrecht halb liegend auf der anderen Seite des Tisches lümmelte! Ich begann trotzdem mit den üblichen Höflichkeiten und schaute ihn freundlich an; er aber wich meinen Blicken aus, seine Augen schweiften hin und her, als hätte er ein schlechtes Gewissen oder als wäre er zumindest übertrieben verlegen. Sein rüpelhaftes Benehmen änderte sich während unseres ganzen Gespräches nicht, obwohl er sich sonst als erstaunlich höflich, belesen und fachlich einwandfrei erwies.
Nach diesem ersten Gespräch war ich recht verunsichert. Ich erwähnte das seltsame Benehmen von Ala’ufoa meiner Kollegin Sabine Fenton (Sprachwissenschaftlerin) gegenüber. Sie amüsierte sich königlich und erklärte mir den Vorfall (danke, Sabine!):
Auf vielen südpazifischen Inseln hat man bei einem Gespräch mit einer höher stehenden Person eine solche Position einzunehmen, dass die Augen dieser Person wirklich über den eigenen Augen liegen. Darum sitzen Könige auf einem Thron, weil sich sonst die »Untertanen« zu tief bücken müssten. Auch bei uns gibt es ja sprachlich viele Überreste dieses Verhaltens, etwa in den Worten »höher stehend«, »Untertan« usw. In der Praxis verhalten wir uns aber inzwischen zwiespältig: Der Verdächtige zum Beispiel steht, während der Polizist ein Protokoll aufnimmt. Nachdem ich am Tisch saß, blieb Ala’ufoa nach den Regeln der (polynesischen) Höflichkeit gar nichts anderes übrig, als sich auch sofort zu setzen; und da er größer war als ich, musste er seinen Kopf tiefer hinunterkriegen als meinen. Das tat er, indem er halb vom Sessel nach vorne hinunterrutschte; er blieb während der ganzen Zeit in dieser unbequemen Position, um deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass er mich als die höher gestellte Persönlichkeit betrachtete. Meinen Augen wich er aus, weil in fast ganz Polynesien das »In-die-Augen-Schauen« als ausgesprochen aggressive Handlung gilt – so etwa wie bei einer Schlange, die, ihr Opfer fixierend, dieses nicht mehr aus den Augen lässt, was ja auch Teil einer aggressiven Handlung ist! Und ich konnte noch von Glück reden, dass ich Ala’ufoa nicht aufmunternd auf die Schultern klopfte: Seine Reaktion wäre dann vermutlich sehr heftig gewesen. Alle Körperteile oberhalb des Oberarms (Schultern, Nacken, Hals, Kopf) gelten als tabu und dürfen von einer fremden Person genauso wenig berührt werden, wie das bei uns in Europa etwa für den Bereich zwischen den Beinen gilt!
Ich
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