Xperten - Der Anfang: Kurzgeschichten
Schulpflicht (Preußen 1717, Österreich 1770). Die weite Verbreitung der Schrift ist also ein ganz junges Phänomen!
Die Schrift ist demnach nicht ein notwendiger und wichtiger Begleiter des durchschnittlichen Menschen; sie ist auch nicht eine »natürliche Ergänzung« der Sprache. Sie war vielmehr eine Krücke – die einzige Krücke, die die Menschheit besaß –, um Ideen irgendwie festzuhalten. Dieses Festhalten war für Verträge, Gesetze, Religion, Wissen, Kunst usw. von größter Bedeutung. Mangels Alternativen musste man sprachliche (und bildliche) Ideen in Schrift kodieren und mit verschiedensten mehr oder minder mühsamen Schreibtechnologien aufzeichnen: mit Tinte auf Papyrus, mit Bleistift auf Papier, mit Tastatur auf Diskette und Bildschirm.
Seit ganz kurzer Zeit beginnen uns bessere Möglichkeiten für die Archivierung und Weitergabe von Gedanken zur Verfügung zu stehen: Für sprachliche Informationen kommt eine direkte Digitalisierung in Frage, für bildliche Informationen Krücken für das fehlende Bild erzeugende Organ in der Gestalt von computerunterstützten Bewegtbildszenen. Allmählich geraten wir auf diese Weise immer mehr in die Lage, Ideen so festzuhalten, wie dies am natürlichsten ist: Bildfetzen aus unserem Hirn genau als solche, sprachliche Informationen (wo sie nicht durch bildliche ersetzt werden) als direkt aufgezeichnete Sprache. Sobald wir entsprechende Computerwerkzeuge verfügbar haben, die das einfache Erstellen solcher »multimedialer Dokumente« gestatten, und sobald wir das Arbeiten mit diesen gelernt haben, bleibt für die Verwendung der Schrift nur mehr wenig Motivation!
Natürlich wird das Lesen von Schrift noch generationenlang gelehrt werden, um den Zugriff auf vorhandenes Kulturgut zu ermöglichen; natürlich wird das Erlernen der geschickten Verwendung der erwähnten Computerwerkzeuge ein schwieriger Prozess sein, ähnlich wie heute in den Schulen jahrelang gelehrt wird, wie man sich schriftlich gut ausdrückt, und viele haben es nach zwölf Jahren Schule noch immer nicht gelernt.
Die Behauptung, dass die Schrift durch eine Kombination von Bild- und Toninformation verdrängt wird, lässt sich zahlenmäßig untermauern. In Nordamerika verwenden nur noch rund 50 % aller Menschen Schrift aktiv, d. h. schreiben und lesen regelmäßig. Der Rest deckt seine Informationsbedürfnisse durch Telefon, Radio, Fernsehen, Film und Video. Der Brief zu Weihnachten an die Oma wird ersetzt durch ein Telefongespräch oder ein Videoband.
Tatsächlich sind obige Zahlen trügerisch. Analysiert man die Daten genauer, so kann man ableiten, dass von den Nordamerikanern, die beruflich nicht schreiben oder lesen müssen, nur noch 20 % (ein Fünftel!) das Schreiben und Lesen aktiv betreiben. Die Bedeutung des Lesens und Schreibens für die Mehrzahl der Bevölkerung ist also schon heute minimal, noch bevor die Werkzeuge für die Verwendung digitalisierter Sprache und der Computergrafik für bildliche Informationen zur Verfügung stehen!
PS: Die Beiträge 4.2, 4.3 und 4.4 basieren auf der Arbeit »Computer Visualization, a Missing Organ, and Cyber-Equivalency« von H. Maurer und P. Carlson, die 1992 in der amerikanischen Zeitschrift »Collegiate Microcomputer« erschienen ist und von der eine Kurzform mit dem Titel »Computervisualisierung – die Krücke für ein fehlendes Organ« in der deutschen Zeitschrift technologie + management 1/92 abgedruckt wurde. Mehr dazu siehe Beitrag 11.4: »MIRACLE«.
4.5 Wichtig ist nur die Quelle!
Am 12. Juni 1983 las Franz Baldwin im WC des Bahnhofs, mit Kuli an die Wand geschmiert: »Franz Baldwin ist ein Verbrecher.« Er ärgerte sich darüber, aber wie ernst soll man Graffiti schon nehmen?
Zwei Monate später fand Franz Baldwin eine gedruckte Seite auf seinem Schreibtisch, worauf stand: »Franz Baldwin hinterzieht Steuergelder!« Er wurde blass: Wer hatte diese schwere Verleumdung in gedruckter Form in die Welt gesetzt? Er musste unbedingt den Urheber ausfindig machen und zur Rede stellen.
Am 12. Juni 1993 erhielt Fritz Kustkar eine gedruckte Seite in der internen Post seiner Firma mit folgendem Text: »Fritz Kustkar war schon wieder untreu!« Er lächelte: Welcher der Bürokollegen hatte sich da einen Scherz erlaubt und mit dem Laserdrucker ein offiziell aussehendes Dokument gedruckt?
Zwei Monate später lag im Postfach von Fritz Kustkar ein Bild von seiner Freundin, in inniger Umarmung mit einem anderen Mann. Heiß stiegen Zorn und Eifersucht
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