Xperten - Der Paradoppelgänger
das Warten sein. Und wenn sie uns erst in die Öffentlichkeit, und sei es auch nur die Öffentlichkeit der Regierung, bringt, werden wir das als Organisation sicher nicht und als Personen vielleicht nicht überleben. Wenn du gestattest, werde ich auch ein Kampfszenario vorbereiten.«
Marcus nickt. Aber er hofft noch immer, dass er die PM als Verbündete behalten kann und nicht in einen Kampf verwickelt wird. Er sieht den Verlauf der Auseinandersetzung deutlich vor sich: Sie können sich nicht ergeben. Die Gefahr, dass sie dann alle lebenslang eingesperrt oder als zu große Gefahr sogar getötet werden, wie man es ja mit ihm in Europa versuchte, ist zu groß. Wenn sie aber kämpfen, können sie, so klein ihre Gruppe ist, sehr viel Schaden anrichten, ja vielleicht auch Teilerfolge erreichen. Aber sie können nicht langfristig gegen ein ganzes Land gewinnen, es sei denn, sie errichten eine eiserne Diktatur. Das wollen sie aber nicht, dagegen wird auch Marcus eintreten. Im Übrigen würden sie eine solche Diktatur mit Para-Macht einrichten, hätten sie dann die ganze Welt gegen sich und würden erst recht verlieren.
Also gibt es, wenn es zu einer Auseinandersetzung kommt, eigentlich nur eine Lösung: Rückzug auf einen noch versteckteren Winkel, auf eine unbesiedelte Insel irgendwo in der Südsee? Marcus kann sich ein solches Leben nicht vorstellen. Er schaut aus seinem Arbeitszimmer über die freundliche Stadt Auckland, er denkt an Great Barrier Island, an seine Kinder und eine Spur von Verzweiflung steigt in ihm hoch. Soll er einfach nach Wellington fliegen und mit der PM beraten? Nein, er muss zunächst versuchen, eine Lösung für die Brodlyn-Zwillinge zu finden.
11. Auseinandersetzungen
Ende Juni 2011
Die Gespräche, die Marcus mit den beiden Gefangenen führt, erinnern ihn fatal an die Gespräche, die seinerzeit Klaus mit ihm führte, als er von der PPU gefangen gehalten wurde. Man wollte ihn zwingen, mit der PPU zu kooperieren und sich einen Chip einpflanzen zu lassen, um ihn notfalls kontrollieren zu können.
Die Vorschläge, die Marcus Richard und Ann zunächst unterbreitet, laufen auf dasselbe hinaus. Allerdings wird bald klar, dass weder die beiden zu einer Kooperation bereit sind, noch es sinnvoll scheint mit Personen, die sich immer wieder zu anderen - unmenschlich erscheinenden - Wertvorstellungen bekennen, zusammenzuarbeiten.
Daher bietet Marcus schließlich Richard und Ann nur die Wahl zwischen zwei Alternativen: lebenslanges Eingesperrtsein in einem komfortablen Gefängnis oder Freiheit und ungestörtes Leben, aber mit einem eingepflanzten Chip, der die Para-Fähigkeiten der beiden auslöscht und der bei der geringsten Manipulation durch die Träger die SR-Inc. verständigt. Klaus ist sicher, dass das technisch machbar ist.
Marcus denkt an seine eigene Situation zurück. Er hat das Gefühl, dass sein Angebot an Richard und Ann eine Nuance fairer ist als jenes, das ihm seinerzeit die PPU machte. Damals hatte man ja nur die Alternativen bescheidenes Gefängnis oder Kooperation mit der PPU und Einpflanzung eines Betäubungschips geboten.
Marcus hat das Gefühl, dass es auch in Zukunft keine andere Möglichkeiten geben wird, gegen bösartige Para-Begabungen vorzugehen, als die jetzt vorgeschlagenen. Allerdings, wo ist die Grenze zu bösartig? Muss man vielleicht irgendwann allen Para-Begabungen einen Chip einpflanzen, der durch eine externe Einrichtung, wie etwa ein Gericht, aktiviert werden kann und der dann die Para-Fähigkeiten ausschaltet? Wird die PM, eine Regierung, ihm und seinen Mitstreitern je vertrauen können, ohne eine solche letzte Kontrolle haben zu können? Gibt es andere Lösungen? Marcus verdrängt die Problematik wie schon so oft, aber er weiß, dass sie alle früher oder später damit konfrontiert werden.
Richard und Ann sind nicht bereit, auf Marcus‘ Alternativen einzugehen. Sie haben verstanden, dass Marcus sie nicht töten wird (sie hätten das an seiner Stelle sofort getan), und nützen das aus. Sie stellen immer neue Forderungen und versuchen mit »weniger Überwachung« freizukommen. Sandra kann die Gefühle von Richard und Ann durch den Anti-Para-Schirm nicht lesen. Das wäre eine Hilfe gewesen, um festzustellen, wie ehrlich Richard und Ann bei einigen ihrer Vorschläge sind. Sandra hätte festgestellt, dass der Begriff »ehrlich« für die beiden gar nicht existiert, sondern nur das Gebot »Gut ist, was mir nützt«. Sandra fragt Klaus mehrmals, ob man nicht
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