Xperten - Der Paradoppelgänger
hat, wird der Weg etwas schwieriger, man braucht da und dort die Hände. Sie überholen zwei junge Engländerinnen, die größere Ruth und die zierlichere Cindy, und helfen ihnen beim Finden des leichtesten Weges und bei der jetzt dritten und schwierigsten Überquerung des Baches. Mit Missbilligung sieht Marcus, dass die beiden mit einfachen Halbschuhen unterwegs sind, bei dieser Route ein Leichtsinn. Er überlegt, ob er etwas sagen soll. Aber wie weit darf man sich bei fremden Erwachsenen in solche Angelegenheiten einmischen?
Marcus und Stephan gehen zügig weiter. Der Weg verläuft hier entlang des unteren Endes einer fast senkrechten Wand steil bergauf, wodurch ein Teil der Felswand, die an einigen Stellen weit über den Pfad überhängt, umgangen werden kann. Die Sonne ist zwischen dicken Quellwolken verschwunden, ein leichter Wind kommt vom Westen, es ist nicht mehr so heiß.
Als sie die kritische Stelle erreichen, wo man über eine Stahlleiter das erste Mal in die Wand direkt einsteigt, pausiert Marcus und schaut mit Sorgen über das unter ihnen liegende Ennstal nach Westen Richtung Admont. Die Wolkenfelder sind inzwischen sehr dunkel geworden, der auffrischende Wind treibt sie immer näher und in der Ferne legt sich etwas wie ein Nebel übers Tal, dort regnet es schon heftig.
»Stephan, wir müssen ein Stück zurück bis zum letzten Überhang. Es kommt ein starkes Gewitter auf uns zu, ich rechne, es wird in zirka 15 Minuten hier sein. Wir schaffen es in dieser Zeit nicht, die Wand zu durchsteigen. Und in der eisengesicherten Wand in einem Gewitter unterwegs zu sein ist nicht ungefährlich, abgesehen davon, dass wir ganz nass werden. Unter dem Überhang sind wir sicher und bleiben trocken.«
Stephan weiß, dass sich sein Vater hier in den Bergen gut auskennt und akzeptiert die Entscheidung sofort. So gehen die beiden ein kleines Stück zurück und machen es sich unter einem überhängenden Felsen, fast wie in einer Höhle mit Talblick, bequem. Sie werden hier das Unwetter vorbeiziehen lassen. Nur wenig später kommen Ruth und Cindy.
»Schon erschöpft?«, ruft Ruth.
»Nein, nicht wirklich. Aber es kommt ein Gewitter und da ist es nicht gut in der Wand. Ihr solltet unbedingt auch hier abwarten.«
Ruth zuckt die Schultern: »Ach, uns macht ein bisschen Regen nichts.« Die beiden Engländerinnen gehen auch weiter, als Marcus vor Blitzen in der mit vielen Metallleitern, Haken und Drahtseilen gesicherten Wand warnt.
Während Marcus und Stephan das Unwetter erwarten, erzählt Marcus ein wenig über den Wasserfallweg:
»Stell dir vor, Stephan, du gehst hier auf dem ältesten Klettersteig der Steiermark, er wurde schon 1896 gebaut. Diese Gegend hier, die Nördlichen Kalkalpen, waren Trainingsgebiet für viele der besten europäischen Bergsteiger. Freilich gibt es in Österreich, zum Beispiel am Hausberg von Wien, der Rax, Klettersteige die noch älter sind, beispielsweise den sehr schönen Haidsteig 5 .«
Das Gewitter kommt schließlich, wie von Marcus vermutet. Nach zwanzig Minuten beginnt es unaufhörlich zu blitzen und zu krachen, der Wind wird fast zu einem Sturm und dann setzt sintflutartiger Regen ein. Stephan kommentiert:
»Ich möchte da jetzt nicht in schwierigem Gelände sein.«
Marcus nickt: »Die beiden jungen Frauen bereuen ihren Beschluss, hier nicht zu warten, bestimmt sehr, denn es gibt, bevor man den Talboden oberhalb der Wand erreicht, dort, wo das obere Ende des Wasserfalls ist, meiner Erinnerung nach keinen guten Unterstand bei so einem Wetter.«
Eine halbe Stunde später sind Regen, Wind und Wolken wie von Geisterhand verschwunden, ziehen weiter nach Osten. Die Sonne scheint wieder, aber es hat etwas abgekühlt und abgesehen davon, dass Boden und Steine nun sehr viel rutschiger sind, ist das Gehen jetzt ein Vergnügen. Sie klettern über die erste Leiter, später über einige ausgesetztere Stellen, wo man die hier eingelassenen Haltegriffe und Stahlseile gut brauchen kann.
Stephan macht es Spaß voranzuklettern und er ist sehr geschickt, wie Marcus mit Stolz und Freude sieht. Als sie zum schwierigsten Felsstück kommen, sehen sie Ruth und Cindy sitzen. Sie schauen mitgenommen aus, sind bis auf die Haut nass, wodurch ihnen auch sichtlich kalt ist. Da bemerkt Marcus, dass sich Ruth verletzt hat.
»Was ist passiert?«
»Wir hätten auf dich hören sollen. Es hat uns hier erwischt. Wir sind noch ein Stück hinauf, aber dann schlug ein Blitz knapp ober mir ein. Im Schreck rutschte ich
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