Yachtfieber
gegen den Felsen, um das Boot vom Ufer abzustoßen. Er würde sich mit dem Kahn an den Festmacherleinen der »Dogukan« entlanghangeln, und wenn das zu mühsam war, konnte er immer noch ins Wasser springen und ihn hinter sich herziehen.
Er versuchte die Leine zu ergreifen, die an einem der Felsen befestigt war, aber der Schwung, den er dem Boot verpaßte, reichte nicht ganz aus. Es trieb in die andere Richtung ab.
Verdammter Mist, hier wollte er nicht hineinspringen, das war ihm zu flach. Das letzte, was er jetzt brauchen konnte, waren Stacheln in seinem Fuß. Er mußte irgendwie in tieferes Gewässer kommen. Er schaukelte, um Fahrt zu machen, warf aber doch einen besorgten Blick zum Schiff, ob dieser Kerl 97
seine Aktionen auch verstand. Was er sah, ließ ihn vor Schreck erstarren.
Am Ende der Bucht schob sich rechter Hand um die Felsen herum ein unbeleuchtetes Etwas, groß, grau, in der Dunkelheit furchterregend. Uli kniff die Augen zusammen, aber obwohl der Mond schon wieder hinter den Wolken verschwunden war, war es eindeutig ein Schiff, das sich auf die »Dogukan« zubewegte.
Uli hielt den Atem an, offensichtlich hatte es dort an Bord noch niemand bemerkt. Er saß unbeweglich und schaute nur noch.
Jetzt drehte sich das Schiff leicht, und Uli meinte, ein montiertes Maschinengewehr zu erkennen, und gleichzeitig wurde ihm klar, daß hier die Rettung kam: Das war das Polizeiboot! Sofort fing er wieder an zu schaukeln, um den Kerl dort oben abzulenken.
Ein Schrei an Bord, ein Suchscheinwerfer flammte auf, tauchte das steingraue Boot in grelles Licht, gleichzeitig gingen auch dort sämtliche Lichter an. Uli duckte sich in seinem Boot. Ein Lautsprecher stieß unverständliche Laute aus, aber die Antwort war – das konnte er von seiner Position aus gut sehen, und es ließ ihn sein Blut in den Adern gefrieren – das Vorführen von Anja. Der Schwarze hielt sie sich wie einen Schutzschild vor die Brust und zeigte mit einer Pistole gegen ihre Schläfe. Uli sprang ins Wasser. Irgendwie mußte er an Bord kommen und Anja von diesem Widerling befreien. Aber er hörte, wie der Diesel der
»Dogukan« angelassen wurde, spürte das aufwirbelnde Wasser der großen Schrauben, die dicken Taue wurden gekappt, fielen knapp neben ihm ins Wasser, und die »Dogukan« fuhr los, mit Anja im gleißenden Scheinwerferlicht, den Pistolenlauf an ihrer Stirn. Uli kraulte, so schnell er konnte, aber er kam nicht näher, die »Dogukan« schob sich von ihm fort in Richtung offenes Meer, flankiert von dem Polizeiboot, das das Maschinengewehr auf Anja und den Gangster gerichtet hatte und von dem unablässig durch ein Megaphon Befehle zur »Dogukan«
herüberschallten.
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Uli blieb zurück. Er heulte vor Angst und Wut und vor allem vor Hilflosigkeit. Schließlich kehrte er um, um das Beiboot zu suchen und eine Lösung zu finden.
Anja zitterte am ganzen Leib. Sie wirkte so dünn und zierlich vor diesem breiten Körper. Hoffentlich versuchten die türkischen Polizisten nicht, an ihr vorbeizuschießen, um ihren Kidnapper zu treffen. Sie hatte fast mehr Angst vor dem Maschinengewehr als vor der Pistole, deren Lauf sie an ihrem Kopf spürte. Es war einfach nicht wirklich, was hier passierte, sagte sie sich, die Augen weit aufgerissen, weil das Scheinwerferlicht so blendete, daß sie nur Sternchen sah. Uli hatten sie zurückgelassen, das war ihr klar, aber seltsamerweise erfüllte sie das eher mit Dankbarkeit als mit Angst. Er konnte etwas tun, er war frei, ihm konnte nichts mehr passieren. Und im schlimmsten Fall wären ihre Kinder wenigstens keine Waisen.
Der Gedanke brachte sie zum Weinen.
»Nimm dich zusammen!« schnauzte sie der Mann an, der sie fest an sich gepreßt hielt.
»Ich habe Kinder«, brachte sie weinend heraus. Sie fuhr sich mit dem Handrücken unter der Nase entlang.
»Ich habe Angst«, fügte sie hinzu. Dann sagte sie nichts mehr und schloß die Augen.
Alissa saß wie versteinert in ihrer Ecke. Sie suchte Pias Blickkontakt. Komischerweise sah sie in ihr die Rettung. Wenn jemand eine gute Idee hatte, dann sicherlich sie. Aber Pia schien sich völlig in sich selbst zurückgezogen zu haben. Sie hatte ihre Hand mit der von Marc verschränkt und stierte ohne einen Wimpernschlag auf einen Punkt. Marc war rot im Gesicht, offensichtlich befand er sich an der Grenze dessen, was er als Boß eines großen Unternehmens ertragen konnte. Ihn gängelte normalerweise keiner, und nun mußte er sich dem Willen einiger Gangster beugen.
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