Yakuza Flowers
kennenlernen.“ Jiro lächelte zuversichtlich, aber Gabriel war alles andere als beruhigt. Die Finger, die über seine Wange streichelten, waren kalt und verrieten, dass auch Jiro sich Sorgen machte. Aber natürlich würde Jiro Takanawas Wunsch nachkommen. Gabriel fühlte sich etwas übergangen, doch was für eine andere Möglichkeit hatte er? Gar keine.
„Und wann?“, fragte er kleinlaut und lehnte sich so zurück, dass Jiros Hand ihn nicht mehr erreichen konnte. Sein Rückzug wurde mit einem Seufzer seitens Jiro quittiert.
„Morgen Nachmittag sollen wir ihn in seinem Haus besuchen.“ Gabriel verzog das Gesicht und griff nach der Fernbedienung. Dann hielt er aber inne.
„Muss ich mir Sorgen machen?“ Er hörte selbst, dass seine Stimme zitterte, während seine Augen auf den Fernseher gerichtet waren. Quietschbunt gekleidete Mädchen hüpften über den Bildschirm.
„Nein.“ Jiros Antwort war sanft und dennoch bestimmt. „Dir wird nichts passieren, und ich werde die ganze Zeit bei dir sein. Ich verspreche es dir.“
Gabriel nickte, aber die Unruhe blieb. Er schaltete den Ton wieder an und versuchte, sich auf das Fernsehprogramm zu konzentrieren, während Jiro in sein Arbeitszimmer zurückkehrte.
Gabriels Gedanken kreisten weiter um den Besuch, den er am nächsten Tag zu absolvieren hatte. Für einen Tag waren das einfach zu viele Kontakte zu Jiros Schattenleben.
Am nächsten Tag versuchte Gabriel Vincent zu erreichen. Es ging niemand ran. Als der Anrufbeantworter ansprang, hinterließ Gabriel eine Nachricht und beschloss, es später noch einmal zu versuchen. In der Nacht hatte er schlecht geschlafen. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, einfach nach London zurückzugehen und dieses Kapitel für sich abzuschließen. Schlussendlich hatte er sich dann aber dagegen entschieden. Es hätte bedeutet, Jiro für immer zu verlieren und das wollte er nicht.
Vincent hätte ihm sicherlich einen Rat geben können, aber seit einigen Wochen antwortete sein Freund einfach nicht mehr auf seine Mails. Darum hatte er ihm einen Brief geschrieben und er hoffte inständig, dass Vincent darauf reagierte. Es war sehr untypisch für Vincent nicht zu antworten. Es blieb nur die Möglichkeit, dass er gerade wirklich in Arbeit ertrank. Dennoch wäre es schön gewesen, von ihm zu hören oder mit ihm reden zu können. Vincent fehlte Gabriel sehr und auch seine Worte, mit welchen er ihm immer den Kopf gerade rückte. Nun musste Gabriel alleine klarkommen. Was nicht sonderlich einfach war, wie er feststellte. Seit Jiro in sein Leben getreten war, hatte sich vieles geändert. Unter anderem auch die enge Freundschaft zu Vincent, für den er immer weniger Zeit gefunden hatte. Vielleicht hatte diese Entfremdung auch an Vincent gelegen und seiner geheimnisvollen Beziehung. Ihre kleinen Geheimnisse hatten sie weiter auseinander gebracht, als es Gabriel gefiel.
Für den Besuch bei Takanawa hatte sich Gabriel für einen schwarzen Anzug entschieden. Er fühlte sich in der formellen Kleidung allerdings nicht sonderlich wohl. Die Krawatte war ordentlich und straff gebunden. Gabriel wollte keinen falschen Eindruck vermitteln. Der letzte Blick in den Spiegel zeigte ihm einen jungen, sehr streng aussehenden Mann. Nicht gerade glücklich begab er sich zu Jiro, der in seinem Arbeitszimmer noch telefonierte. Die Tür war nur angelehnt, Gabriels Finger legten sich auf das Holz, doch er hielt inne. Die Gesprächsfetzen, die er hörte, ließen seine Laune noch weiter sinken.
„Nein. Ich will, dass er am Leben bleibt. Tot wird er uns nichts nützen. Nur einen Haufen Schulden hinterlassen, die seine Familie nie und nimmer bezahlen kann.“ Jiros sonst so melodisch-sanfte Stimme klang hart und unnachgiebig. „Ein Finger sollte ihm als Gedächtnisstütze genügen.“
Gabriels Hand musste angefangen haben zu zittern, denn seine Fingerspitzen stießen sanft gegen die Tür, welche sofort aufschwang. Jiro hielt inne. Ihre Blicken begegneten sich. Gabriel fühlte, wie er noch blasser wurde.
„Ich muss Schluss machen.“ Jiro legte auf und sah wortlos zu Gabriel herüber.
„Ich wollte nur sagen, dass ich fertig bin“, krächzte Gabriel. Unwillkürlich fragte er sich, wie oft Jiro solche Befehle wohl schon gegeben hatte oder gar schlimmere, während er selbst ahnungslos im Nebenzimmer auf dem Sofa gesessen hatte.
„Ja, ich bin auch soweit.“ Jiro ließ sein Handy in die Tasche gleiten und kam auf Gabriel zu, der einen Schritt zurückwich. Es
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