YANKO - Die Geschichte eines Roma
ging Jenny schnell hinein und kam mit Kenia auf dem Arm zurück. Yanko nahm seine Tochter entgegen und knuddelte sie liebevoll. Rasch nahm er die gepackte Tasche, die schon bereit stand in die andere Hand, verabschiedete sich schnell wieder und stieg mit Kenia in seinen Pickup.
Er liebte es von Mal zu Mal mehr, wenn Kenia allein bei ihm war. Irgendwie gab es ihm ein beruhigendes Gefühl, wenn sie auf seiner Veranda herumkrabbelte und mit ein paar Bauklötzen spielte oder mit großem Jubel seine Schuhe durch die Gegend zerrte.
Keith konnte das überhaupt nicht verstehen. Für ihn war alles, was mit Kindern zu tun hatte erst einmal Frauensache, außer wenn es gar nicht anders ginge. Keith beharrte stur auf diesem Stück Tradition, was Yanko wiederum überhaupt nicht verstehen konnte. Er fand das total albern. Manchmal wünschte er sich kein Roma zu sein, einfach nur, um von dem ganzen, alten, teilweise völlig überholten Kram befreit zu sein. Er wusste natürlich auch, dass das nicht nur bei den Roma so war. Vielleicht waren auch nicht alle Roma so, aber er fand solche Sachen, egal in welcher Kultur sie vorkamen einfach nur total blöd.
Yanko saß angelehnt an der Hauswand auf dem Boden und schaute seiner Tochter amüsiert zu, und er hätte in diesem Moment mit keinem anderen Platz auf der Welt tauschen mögen. Kenia nahm einen der Bauklötze in die Hand, stand auf, tapste ihm entgegen und gab ihm den Bauklotz quiekendin die Hand. Yanko schnappte sie sich und herzte sie liebevoll, während Kenia dabei aus vollem Hals lachte. Anschließend kuschelte sie sich an ihn und offenbar war sie müde, denn kurz darauf schlummerte sie ein. Yanko streichelte sie und wiegte sie in seinem Arm.
Er erinnerte sich noch wie heute an den Sommer, als er noch mit Jenny zusammen gewesen war, und sie beim Abendessen hier auf seiner Veranda gesessen hatten. Er wusste noch genau was er ihr sagte, nachdem er sie geküsst hatte. „Ich liebe dich!”, hatte er ihr gesagt, und in diesem Moment hatte er es auch wirklich so gemeint. Ihm kamen die unendlich langen Diskussionen, die sie wegen ihrem Angebot geführt hatten in den Sinn, und dass er es nach kurzer Zeit gehasst hatte, wenn sie immer wieder davon anfing und seine Entscheidung in Sheddy bleiben zu wollen einfach nicht akzeptieren wollte, bzw unter den Umständen dann gar nicht erst hatte gehen wollen. Er war sich mittlerweile sicher, dass sie dieser Umstand auf jeden Fall auch ohne Ron auseinander gebracht hätte. Doch wie lange hätte er sie noch mit Ron hintergehen können? Es war ja so schon eh kaum auszuhalten gewesen, und es wurde ihm klar, dass er es damals sowieso nicht viel länger hätte hinausschieben können. Und trotzdem hatte er sie manchmal vermisst und sich deswegen schlecht gefühlt, weil er sie so lange Zeit stillschweigend hintergangen hatte. Wie auch immer, er dachte gerne an sie und freute sich, wenn sie sich trafen.
Doch wie ging es ihr eigentlich? War sie jetzt glücklich? Vielleicht wäre es besser gewesen, er wäre damals nicht zu ihrer Hochzeit nach L.A. gefahren. Vielleicht wäre Jenny dann immer noch mit Mike verheiratet.
Kenia seufzte im Schlaf, und Yanko ließ den Gedanken sofort wieder los. Keine Sekunde hatte er seine Tochter bereut. Erlehnte seinen Kopf an die Wand und blinzelte in die untergehende Sonne.
Was würde Fam zu seiner Tochter sagen? Wie hätten ihre gemeinsamen Kinder ausgesehen? Hätten sie überhaupt welche gehabt? Verhütet hatten sie nie. Und wie so oft, wenn er an Fam dachte, stiegen die Bilder in seinem Inneren auf. Die Bilder, wie sie damals erschossen wurde.
Er konnte den Schuss immer noch hören und sah sie dabei in Zeitlupe zusammenbrechen. Es schnürte ihm weiterhin das Herz zusammen, wenn er sich daran erinnerte. Er hatte es bis jetzt immer noch nicht geschafft wirklich darüber Herr zu werden. Immer noch kamen die Trauer und der Schmerz oft wie eine Flutwelle über ihn. Dann schwemmte sie ihm den Boden unter seinen Füßen weg und seine Brust drohte vor Sehnsucht zu bersten, und es raubte ihm die Luft zum Atmen und jeglichen emotionalen Halt.
Yanko rang plötzlich nach Luft, und er versuchte tief durchzuatmen, was ihm nach ein paar Minuten auch wieder einigermaßen gelang. Er hätte jetzt gerne eine geraucht, aber er wollte Kenia nicht wecken. So saß er weiterhin da und versuchte an gar nichts zu denken. Das funktionierte allerdings nur für diese eine Sekunde in der er dachte, dass er an nichts denken
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