Yoga als Therapie
die neuronalen Schaltkreise im Gehirn die betreffende Emotion überwachen, wodurch eine gewisse Beherrschung möglich wird. Mit entsprechender Erfahrung führt die Wahrnehmung von Gefühlen zu einer emotionalen Selbstkontrolle und zu einer emotionalen Kompetenz im Umgang mit anderen Menschen. Emotionen zu identifizieren und geschickt mit ihnen umzugehen ist jedoch nicht nur in zwischenmenschlichen Beziehungen von Nutzen, es kann auch die Wahrnehmung und Leistungsfähigkeit verbessern. Dies konnte anhand von experimentellen Untersuchungen belegt werden.
Von besonderem Interesse ist die Funktion positiver Zustände. Um sie zu beschreiben, hat Frederickson (2001) ein Modell positiverEmotionen entwickelt. Es geht davon aus, dass Form und Funktion positiver und negativer Emotionen sich ergänzen. Erleben wir eine negative Emotion, so ist das uns verfügbare Repertoire an Gedanken und Handlungen auf solche Handlungen beschränkt, die ursprünglich dazu dienten, unser Überleben zu sichern. Noch heute sind diese uralten Überlebensprogramme in uns aktiv. Positive Emotionen hingegen erweitern unser Repertoire und helfen uns dabei, bleibende persönliche Ressourcen aufzubauen. Gemäß diesem Modell dienen positive Emotionen dazu, ihre negativen Entsprechungen aufzulösen.
Aus evolutionärer Sicht scheinen positive Emotionen keinen so großen Wert für das Überleben zu haben wie negative, zum Beispiel Angst und Wut. Negative Emotionen lösen bestimmte Handlungen – wie Flucht oder Angriff – aus, dank derer unsere Vorfahren die Gefahren der Urzeit überleben konnten. Freude oder Zufriedenheit zu empfinden hat hingegen keinen so offensichtlichen Nutzen für das Überleben, aber aus psychologischer Sicht, meint Frederickson, hätten positive Emotionen dem primitiven Menschen geholfen, sein Denken zu erweitern und Ressourcen zu entwickeln, die ihm in schwierigen Zeiten von Nutzen waren.
Achtsamkeitsübungen können uns dabei helfen, mit unseren Emotionen umzugehen. Sind wir uns unserer negativen Emotionen bewusst, so können sie neutralisiert werden, während der Versuch, sie zu kontrollieren, womöglich nur zu ihrer Unterdrückung führt. Wer schädliche Gefühle nicht neutralisieren kann, der sollte psychologischen Rat einholen und sich gegebenenfalls einer Therapie unterziehen. Wenn wir hingegen positive Emotionen kultivieren, so wirkt das nicht nur negativen Gefühlen entgegen, sondern erweitert auch unser gewohntes Bewegungs- und Denkspektrum. Dadurch können wir persönliche Ressourcen aufbauen, die uns bei der Bewältigung von Problemen unterstützen.
Wir sind es gewohnt, unsere Handlungen zu bewerten. Diese Bewertung beeinflusst unser zukünftiges Verhalten. Eine Bewertung kann positiv, negativ oder neutral sein. Unsere persönliche Erfahrung aus der Vergangenheit veranlasst uns, in der Zukunft Handlungen zu wiederholen, die wir positiv bewertet haben. Durch häufige Wiederholung derselben Handlung und derselben Bewertung erhält unser Verhalten einen automatischen Charakter. Auch wenn wir etwas ständig vermeiden, entwickelt sich dieser Automatismus. Nachteilig an einer Vermeidungsstrategie ist jedoch, dass wir keine neuen Erfahrungen machen und daher keine Chance haben, unser Verhalten zu ändern. Das kann sich auch auf andere Bereiche und Funktionen auswirken. Nehmen wir als körperliches Beispiel eine Schulterverletzung. Vermeiden wir in dem betroffenen Bereich jede Bewegung, so führt dies in einem größeren Bereich zu zunehmenden Einschränkungen.
Diese Überlegungen stehen in Einklang mit der Yoga-Tradition. Im Yoga ist die Rede von denVṛttis, „Wellen“ oder Bewegungen des Bewusstseins, die unsere Handlungen und unser gesamtes Verhalten beeinflussen. Auch die Erinnerung an vergangene Ereignisse beeinflusst unser Verhalten in der Gegenwart. In Yoga-Sūtra II, 16 ( Iyengar 2010c , S. 160) heißt es: „Künftige Leiden können und sollen verhindert werden.“ Durch Yoga lernen wir, uns von Grenzen zu befreien, die durch frühere, mit Schmerzen verbundene Erfahrungen entstanden sind. Dabei können wir Verhaltensweisen und Bewegungen erlernen, die für die Gegenwart angemessen sind. Dies geschieht durch die Übung von Yoga-Āsanas, die wir so ausführen, wie es zu unserer individuellen Situation passt – es kommen viele mögliche Modifikationen infrage. Werden die Āsanas korrekt ausgeführt, so verursachen sie weder Schmerzen noch negative Emotionen. Entstehen während der Āsana-Praxis doch unangenehme
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