Yoga als Therapie
Stelle seine Hände auf und spürt, wie stark die Bewegungen von A sind und welche Qualität sie haben. Während Partner B achtsam mit Partner As Körpergewebe kommuniziert, kann B außerdem erspüren, wie viel Druck oder Unterstützung angemessen ist. Eine noch tiefere Erfahrung ist in dieser Übung möglich, wenn Partner B die Augen schließt oder sich eine Augenbinde anlegt.
In seinem Buch
Yoga: Der Weg zu Gesundheit und Harmonie
(2001) betont B. K. S.Iyengar, wie wichtig es ist, sich bei der Yoga-Praxis sowohl körperlich als auch mental voll und ganz zu konzentrieren. Die Wirkungen der Übungen werden hauptsächlich durch achtsames Üben erzielt. Dabei geht es darum,
•die verschiedenen Körperteile mental zu erreichen,
•die Gedanken mit den betreffenden Körperbereichen und mit dem, was damit getan wird, zu verbinden,
•sich seines Tuns vollständig bewusst zu sein.
Der Lernprozess erfolgt in vier Stufen:
1.Anfänger beschäftigen sich mit Körperübungen, wobei zuerst die Grundzüge der Bewegungen und eine stabile Haltung erlernt werden.
2.Als Nächstes lernt der Geist, sich im Einklang mit dem Körper zu bewegen und sich der verschiedenen Körperteile bewusst zu werden.
3.In der fortgeschrittenen Praxis werden Geist und Körper eins.
4.Die letzte Stufe ist die der Vollkommenheit, hier werden die verschiedenen Körperteile mit vollem Bewusstsein erreicht.
Auch der Zustand des eigenen Geistes kann beeinflusst werden. So schreibt Iyengar (2010c , S. 123): „Durch Verwirklichung von Güte, Mitgefühl, Freude und Gelassenheit gegenüber Lust und Schmerz, Tugend und Laster erlangt das Bewusstsein einen Zustand der Abgeklärtheit.“
Eine der bedeutendsten klassischen Schriften über Yoga ist die Haṭha-Yoga-Pradīpikā. Sie ist der erste Text, in dem sich die grundlegenden Yoga-Haltungen finden, die noch heute geübt werden. Verfasst wurde sie von einem Yogi namens Svātmārāma, wahrscheinlich um das Jahr 1400 ( Weiss 1986 , Feuerstein 2008 ). In Kapitel II,2 wird betont, wie wichtig die Verbindung zwischen einem ruhigen, beständigen Atem und einem ruhigen Geist ist. In Vers 29 (IV. Kapitel) heißt es, Atem, Geist und Sinne stünden in einem engen Zusammenhang, wobei der Atem der Meister des Geistes und der Geist der Meister der Sinne sei ( Sinh 2006 ).
Im 20. Jahrhundert hat B. K. S. Iyengar diesen Ansatz der Achtsamkeit in die Körperarbeit integriert und über sieben Jahrzehnte hinweg immer weiter entwickelt. Dabei ging es ihm darum, durch eine achtsame Praxis eine immer feinere Wahrnehmung der Strukturen und Funktionen des Körpers zu schulen. Er schreibt ( Iyengar 2010a , S. 121): „Gehirn und ’Denken’ sollten wachsam bleiben, damit Körperhaltung und Atemfluss ständig neu korrigiert werden können. […] Wesentlich ist völlige Offenheit von ’Denken’ und Intellekt.“ Seine Tochter Geeta Iyengar, die diesen Ansatz fortgeführt und verfeinert hat, hebt vor allem die Bedeutung der mentalen und intellektuellen Haltung hervor, mit der die Körperhaltung eng verbunden ist ( Iyengar 2011 ).
Durch die Praxis vonĀsanas können wir viel darüber lernen, wie wir Achtsamkeit und Intelligenz im ganzen Körper kultivieren. Mit unserem Blick ins Innere können wir den Körper kontinuierlich abstimmen und ins Gleichgewicht bringen. Wenn wir zum Beispiel mit seitlich ausgestreckten Armen dastehen, können wir unsere Finger betrachten, entweder direkt oder durch den Blick in einen Spiegel. Wir können in unsere Finger hineinspüren und spüren, wie die Haltung sich bis in die Fingerspitzen ausdehnt. Auf dieselbe Weise können wir auch andere Körperbereiche betrachten oder in sie hineinspüren, sodass wir sie immer bewusster wahrnehmen. Die Wahrnehmung des Körpers und die Intelligenz des Geistes und des Herzens sollten in Harmonie sein.
Während wir ein Āsana üben, sollte der Geist sich in einem ruhigen Raum befinden, der mit einem subtilen Bewusstsein dessen gefüllt ist, was wir bei dem betreffenden Āsana tun und spüren. Dieses Bewusstsein muss während der Übung ständig erneuert werden, sodass die Übung nicht zur reinen Routine wird. Außerdem dürfen wir uns nicht ablenken lassen. Achtsamkeit hilft uns dabei, die Erschöpfung beim Üben von Āsanas und im täglichen Leben zu überwinden ( Iyengar 2010b ).
Seit vielen Jahrhunderten trägt der achtsame Übungsansatz des Yoga zur Vorbeugung und Heilung eines breiten Spektrums von Krankheiten bei. Klinische und empirische Hinweise
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