Yoga-Anatomie
zerteilt, schnellen die beiden Hälften des Brustkorbs auseinander und müssen zusammengedrückt werden, damit man sie wieder schließen kann. Vorn am Becken treffen die beiden Schambeine in der Symphyse aufeinander, einem unter Druck stehenden Gelenk, das während der Geburt nachgibt und sich öffnet und sich danach hoffentlich wieder zusammenfügt.
Die Bandscheiben drücken die Wirbelkörper ständig auseinander – die Gegenkraft dazu bieten die sehnigen und knöchernen Strukturen der Wirbelsäulenrückseite. Diese Druck- und Zugkräfte machen die Wirbelsäule als Ganzes zu einem sehr elastischen Gebilde, das immer in den neutralen Zustand zurückstrebt.
Bemerkenswert ist, dass alle diese Körpermechanismen unabhängig von Muskelkontraktionen arbeiten, und es ist in der Tat die unbewusste, gewohnheitsmäßige Tätigkeit unserer Stütz- und Atemmuskulatur, die den Effekt des intrinsischen Gleichgewichts behindert. Wenn wir also, im tieferen Sinne, ein aufrechtes Verhältnis zur Schwerkraft aufbauen, achten wir weniger auf den richtigen Muskeleinsatz, sondern erkennen und lösen vielmehr unseren gewohnheitsmäßigen Muskeleinsatz, der die natürliche Tendenz des Körpers, sich selbst aufrecht zu halten, hemmt.
Diese Erkenntnisse über die anatomischen Stützmechanismen des Körpers stehen in vollkommenem Einklang mit der Betrachtungsweise des Yoga aus Sicht Patañjalis: Yoga zu verstehen bedeutet, die Kleshas (Störungen) zu identifizieren und aus unserem Organismus zu entfernen.
Fazit
Der Begriff Pranayama wird beim Übersetzen meist in seine beiden Wurzeln prana (»Leben« oder »Atemenergie«) und yama (»Zügelung« oder »Kontrolle«) geteilt. Da die Atmung aber nur teilweise unserem Willen unterworfen ist, gibt diese Übersetzung nur sehr beschränkt die Praxis des Atmens wieder.
Ein tieferes Verständnis des Begriffes ergibt sich, wenn man das lang gezogene zweite »a« ( Pranaaayama ) beachtet. Das bedeutet, dass die zweite Wurzel ayama lautet.
Das Sanskrit-Präfix a negiert das darauffolgende Wort. Pranayama bezeichnet also einen Prozess, der den Atem aus seiner Beeinträchtigung löst . Damit werden auch die Aspekte der Atmung anerkannt, die nicht unserer willentlichen Kontrolle unterliegen.
Daher geht Patañjalis Definition des Kriya Yoga (Seite 10, Einführung) Hand in Hand mit der Vorstellung, dass unser Atem der beste, tiefgründigste, uns am nächsten stehende Yoga-Lehrer ist, den wir haben können.
Unter diesem Gesichtspunkt wird auch klar, dass die Loslösung des Atems praktisch dasselbe ist wie die Identifikation und Beseitigung jener körperlichen Verspannungen, die das intrinsische Gleichgewicht unseres Organismus in seinem Wirken behindern.
1 Klestr bezeichnet etwas, das Schmerz oder Leiden verursacht.
2 Das erste Aufpumpen der Lungen wird durch ein Tensid erleichtert, eine Substanz, die die Oberflächenspannung des steifen Lungengewebes des Neugeborenen absenkt. Da dieser Stoff erst sehr spät in der Schwangerschaft produziert wird, haben Frühchen (vor der 28. Woche geborene Babys) deshalb Atemprobleme.
3 Die drei Öffnungen im Zwerchfell dienen der arteriellen Versorgung der unteren Körperhälfte (Aortenschlitz), dem venösen Rückfluss zum Herz hin (Hohlvenenloch) und der Speiseröhre (Speiseröhrenschlitz).
4 In herkömmlichen Texten werden die einzelnen Bögen des Rippenbogenbandes einzeln benannt. Man macht sich jedoch ein klareres Bild, wenn man es sich als einzelne, lange Sehne vorstellt, die sich zwischen den Spitzen der genannten Knochenstrukturen spannt. Wird das Rippenbogenband in der Sektion von seinen Befestigungen gelöst, zeigt es sich deutlich als einzelne, gerade Sehne.
5 Wenn ein Lungenflügel entfernt wird (Lobektomie), werden das Zwerchfell und die Bauchorgane nach oben gezogen und füllen den neu entstandenen Raum aus.
D as zentrale Nervensystem mit all seinen komplexen sensorischen und motorischen Funktionen entwickelte sich im Lauf von Jahrmillionen und wurde für das Überleben unserer frühen Vorfahren immer wichtiger. Daher entstand parallel dazu vielleicht die eleganteste und raffinierteste Vereinbarung von Sthira und Sukha, die die Natur hervorgebracht hat: die Wirbelsäule.
Phylogenese – eine kurze Geschichte der Wirbelsäule
Stellen wir uns eine Zelle vor, die in einer Art Ursuppe herumschwimmt, umgeben von Nährstoffen, die sie nur durch ihre Membran zu assimilieren braucht (Abb. 1.1, Seite 14). Jetzt stellen wir uns vor,
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