Yoga-Anatomie
ausgeglicheneren Ansatz zu einer stehenden Rückbeuge. Die sekundären Krümmungen sind hier unter Kontrolle, das Becken wird fest über den Füßen gehalten. Demzufolge ist die Rückwärtsbewegung im Raum viel kleiner, dafür aber die Streckung im Brustwirbelbereich (Abschwächung der primären Krümmung) deutlicher. Obwohl das zwar räumlich keine dramatische Bewegung ist, kommt es dabei jedoch zu einer sicheren und wirksamen Dehnung des Brustkorbs und der Atemvorgang wird weniger beeinträchtigt als bei den Bewegungen der Tänzerin oder des Büroangestellten.
Abb. 2.32 Ein ausgeglichener Ansatz zur Wirbelsäulenstreckung aus dem Stand ohne Rückwärtsbewegung.
Räumliche und spinale Betrachtungsweisen von seitlichen und rotierenden Bewegungen
Auch bei den Yoga-Positionen, die seitliche und rotierende Bewegungen beinhalten, ist es wichtig, zwischen Wirbelsäulenbewegung und Bewegung im Raum zu unterscheiden. Das Dreieck (Trikonasana) wird oft als seitliche Dehnung beschrieben, und das trifft insofern zu, als dass dabei das seitliche Bindegewebe des Rumpfes in ganzer Länge gedehnt wird (Abb. 2.33).
Tatsächlich ist es jedoch möglich, die seitlichen Körperhälften ohne nennenswerte laterale Flexion der Wirbelsäule zu dehnen. Um es noch einmal zu betonen: Es muss klar sein, was genau mit dem Begriff seitliche Beugung gemeint ist.
Abb. 2.33 Eine seitliche Beugung im Raum mit einer geringen seitlichen Flexion der Wirbelsäule.
Bei Trikonasana wird die seitliche Dehnung vorwiegend aus der weiten Fußstellung und der Absicht, die Bewegung hauptsächlich aus dem Becken heraus auszuführen, hervorgerufen, während die Wirbelsäule in der neutralen Streckung bleibt. Diese Position wird also mehr zu einem Hüftöffner.
Zu einer lateralen Flexion der Wirbelsäule könnte es auch durch eine engere Fußstellung kommen. Das sorgt für mehr Stabilität zwischen Becken und Oberschenkel, die erforderlich ist, wenn die Bewegung aus der seitlichen Wirbelsäulenbeugung folgt.
Wenn wir Parivrtta Trikonasana betrachten, die gedrehte Variante des Dreiecks (Abb. 2.34), trifft dieselbe Drehbewegung der Wirbelsäule zu. Der Lendenwirbelsäule ist es fast unmöglich, eine axiale Rotation (nur fünf Grad, Abb. 2.34 b) auszuführen. Das bedeutet für diese Position, dass ihre Ausrichtung ganz vom Kreuzbein bestimmt wird. Damit die untere Wirbelsäule also diese Drehung vollziehen kann, müsste sich das Becken in dieselbe Richtung mitdrehen.
Wenn sich das Becken frei um die Hüftgelenke drehen kann, beobachten wir bei dieser Stellung eine besser über die ganze Wirbelsäule verteilte Drehung statt einer Überlastung von T11 und T12, den ersten Gelenken über dem Kreuzbein, die frei rotieren können (Abb. 2.35). Die Lendenwirbelsäule ist nun voll beteiligt, da auch Becken und Kreuzbein sich drehen; Hals und Schultern sind frei, Brustkorb, oberer Rücken und Hals sind geöffnet, der Atem kann fließen.
Wenn die Hüftgelenke dagegen blockiert sind, dreht sich die Lendenwirbelsäule
Abb. 2.34 Parivrtta Trikonasana (a); die LWS kann sich nur um fünf Grad um ihre eigene Achse drehen (b).
scheinbar entgegengesetzt zur Rotationsrichtung von Brustkorb und Schultergürtel. Wenn das der Fall ist, entsteht die Drehung hauptsächlich von T11 und T12 ausgehend und darüber. Zudem erweckt die Drehung des Schultergürtels um den Brustkorb den Eindruck, die Wirbelsäule drehe sich mehr, als sie das wirklich tut. Der Rumpf vermag durchaus, im Raum zu rotieren, aber eine nähere Untersuchung der Wirbelsäule zeigt, wo genau die Drehung passiert.
Abb. 2.35 T12 ist ein Übergangswirbel. Seine unteren Gelenkfacetten gehören zur LWS, sind mit den oberen Facetten von L1 verbunden und lassen daher keine axiale Rotation zu, während die oberen Gelenkfacetten von T12 zur BWS gehören und Rotation zulassen. Also sind T11 und T12 die ersten Wirbelsäulengelenke über dem Kreuzbein, die frei rotieren können (a–c). (Hellblau schattierte Facetten sind nicht einsehbar.)
Axiale Streckung, Bandhas und Mahamudra
Die fünfte Wirbelsäulenbewegung, die axiale Streckung, wird definiert als eine gleichzeitige Verminderung der primären und sekundären Wirbelsäulenkrümmungen (Abb. 2.36). Mit anderen Worten: Es verringern sich die Krümmungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule und dadurch nimmt die Gesamtlänge der Wirbelsäule zu.
Da die primären und sekundären Krümmungen in einem reziproken Verhältnis zueinander stehen, das durch die
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