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Yoga-Anatomie

Yoga-Anatomie

Titel: Yoga-Anatomie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Leslie u Matthews Kaminoff
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natürlichen Bewegungen von Beugung und Streckung zum Ausdruck gebracht wird, ist die axiale Streckung »unnatürlich« in dem Sinne, weil mit ihr dieses reziproke Verhältnis umgangen wird, indem alle drei Krümmungen gleichzeitig verringert werden. Anders ausgedrückt, geschieht die axiale Streckung nicht von selbst. Sie erfordert für gewöhnlich eine bewusste Anstrengung und Training.
    Die Bewegung, die die axiale Streckung hervorruft, schließt eine Verschiebung im Tonus und in der Ausrichtung der als Bandhas bekannten Atemstrukturen mit ein. Die drei Diaphragmen (Beckenboden, Zwerchfell und Stimmbänder) und die sie umgebende Muskulatur werden stabilisiert (Sthira). Dadurch wird die Verformbarkeit von Brust- und Bauchraum bei axialer Streckung begrenzt. Insgesamt wird das Atemvolumen geringer, der Körper aber länger. Im Yoga wird dieser Zustand von Wirbelsäule und Atmung mit dem allgemeinen Begriff Mahamudra oder »großes Siegel« bezeichnet, der immer die axiale Streckung und die Aktivität der Bandhas umfasst. Mahamudra ist aus vielen Positionen heraus möglich, sitzend, stehend, auf dem Rücken liegend oder auf die Hände gestützt.

    Abb. 2.36 Eine axiale Streckung bedeutet eine gleichzeitige Verminderung der primären und sekundären Krümmungen (a), wodurch die Wirbelsäule über ihre neutrale Stellung hinaus verlängert wird (b).
    Als Mahamudra wird auch eine besondere Sitzhaltung bezeichnet, die eine Drehung mit axialer Streckung kombiniert (Abb. 2.37). Es gilt als Meisterleistung, bei dieser Übung alle drei Bandhas korrekt auszuführen, da es eine komplette Verschmelzung von Asana und Pranayama bedeutet.

    Abb. 2.37 Mahamudra kombiniert eine axiale Streckung mit einer Drehbewegung und allen drei Bandhas.
Intrinsisches Gleichgewicht: Wirbelsäule, Brustkorb und Becken
    Würde man sämtliche Muskeln, die mit der Wirbelsäule verbunden sind, entfernen, würde sie trotzdem nicht auseinanderfallen. Warum? Das Prinzip des intrinsischen Gleichgewichts erklärt nicht nur, warum die Wirbelsäule ein sich selbst tragendes Gebilde ist, sondern auch, warum jede Bewegung der Wirbelsäule potenzielle Energie erzeugt, die die Wirbelsäule wieder in den Ausgangszustand zurückbringt. Das gleiche Prinzip herrscht in Brustkorb und Becken, die, wie die Wirbelsäule, durch mechanische Zugkräfte zusammengehalten werden. Ein intrinsisches Gleichgewicht offenbart sich auch in den Druckunterschieden, die im vorhergehenden Kapitel behandelt wurden (Seite 37).
    Dieses Wissen um den inneren Aufbau unseres Achsenskeletts offenbart ein tieferes Verständnis dafür, warum Yoga anscheinend potenzielle Energie im Körper freisetzt.
    Gemäß den Prinzipien von Yoga und der Yoga-Therapie treten die tiefgreifendsten Veränderungen dann auf, wenn die Kräfte, die diese Veränderungen behindern, reduziert werden.
    Im Fall des intrinsischen Gleichgewichts handelt es sich hier auf tiefster Ebene um eine eingebaute Stützkraft im Innern unseres Körpers. Diese eingebaute Stützkraft hängt nicht von der Muskelarbeit ab, sie kommt durch die Verbindungen zwischen nicht kontrahierenden Geweben, also Knorpeln, Bändern und Knochen. Wenn sich diese Stützkräfte durchsetzen, dann liegt das immer daran, dass eine äußere Muskeleinwirkung aufgehört hat, sie zu behindern.
    Es bedarf also viel Energie, um die ständige unbewusste Muskelanspannung gegen die Schwerkraft aufrechtzuerhalten, und das ist auch der Grund, warum das Loslassen dieser Anspannung mit dem Gefühl verbunden ist, Energie freizusetzen. Es ist also naheliegend, das intrinsische Gleichgewicht als Energiequelle zu bezeichnen, denn seine Aufdeckung geht immer einher mit dem tiefen Empfinden eines gesteigerten körperlichen Wohlbefindens. Kurz gesagt: Yoga kann dabei helfen, die gespeicherte potenzielle Energie des axialen Gerüsts freizusetzen, indem die weniger effizienten äußerlichen Muskelanspannungen, die die Wirkung jener tieferen Kräfte behindern, identifiziert und gelöst werden.
Fazit
    Wie bereits am Ende des ersten Kapitels angemerkt, brauchen wir einen Ausgleich zwischen dem Wollen und dem Zulassen, um dem wahren Charakter von Atmung und Wirbelsäule beim Yoga gerecht zu werden. Ohne diesen Ansatz werden die tieferen, intrinsischen Stützkräfte unweigerlich überschattet durch das vergebliche Unterfangen, durch Anstrengung das nachzubilden, was die Natur ohnehin im Zentrum unseres Körpers verankert hat.

    1 Man denke an die Unterschiede zwischen griechischer und

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